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"Papa Benedetto, was tröstet Sie?“ - „Dass Gott alles in der Hand behält.“

1. Februar 2023 in Interview, 7 Lesermeinungen
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kath.net-Interview Peter Seewald zum heutigen Erscheinungstag des neuen Buches „Benedikts Vermächtnis“ - Von Petra Lorleberg


München (kath.net/pl)

Herr Seewald, Ihr neues Buch ist so etwas wie ein Kompendium Ihrer Biographie von Joseph Ratzinger/ Papst Benedikt XVI. Mit Ihrem Grundlagenwerk zum Leben dieses Papstes und nicht zuletzt durch Ihre Interviewbände mit ihm haben Sie ein Fenster geöffnet zu einem intensiven Blick auf Werden und Walten dieses Papstes.

Peter Seewald: „Benedikts Vermächtnis“ ist in der Tat ein Kompendium; ein Buch für Leser, die sich kompakt über den Werdegang, die Person und die Bedeutung des deutschen Papstes informieren wollen. Ich wollte eigentlich nichts mehr machen. Aber Tim Jung, der Verleger von Hoffmamn und Campe, hat mich von der Idee überzeugt, nach meiner dicken Papst-Biografie mit einem weniger umfangreichen Buch in erzählerischer Dialogform weitere Leserkreise zu erreichen. Das ist wichtig. In der Diskussion über die Deutung Benedikts XVI. braucht es Sachkompetenz.

Sie bewegen sich mit Ihrer Arbeit als Journalist auf Augenhöhe von Kirchenhistorikern wie Ludwig von Pastor und Hubert Jedin, trotz mancher Unterschiede. Sind es heute Fachleute wie Sie, die den Menschen das eröffnen, was früher die Theologen taten?

Peter Seewald: Oh je, das ist viel zu hoch gegriffen. Ich bin nur ein Journalist, dem eine bestimmte Aufgabe zugefallen ist. Die Herausforderung ist, die Dinge des Glaubens aus dem Verständnis des Glaubens heraus zu vermitteln, und das in einer Form, die man versteht, die lesbar und spannend ist.

Die Theologen sind unverzichtbar, wenn sie wirklich Theologie betreiben. Eine hörende Theologie, die das Wort Gottes in der Sprache und mit den Erkenntnissen der Zeit, aber auch getreu der Lehre vermittelt. Heute drängen sich zumeist Theologen in die Öffentlichkeit, die das christliche Mysterium nur als ein akademisches Projekt sehen, wie Benedikt XVI. einmal anmerkte, das nichts mit ihrem Leben zu tun hat. Ratzinger hat seine Studenten für die Geheimnisse und die Wahrheit des Glaubens begeistert. Ich bezweifle, ob man das von seinem heutigen Nachfolger auf seinem früheren Lehrstuhl in Münster auch sagen kann. Besonders peinlich wird es, wenn dann von solchen Leuten jedem, der auch nur einmal für den deutschen Papst spricht, vorgehalten wird, Legenden und einen Mythos aufbauen zu wollen, wo man doch selbst nichts anderes tat, als der Öffentlichkeit in Bezug auf Benedikt ein hässliches Feindbild zu malen.

Sie selbst hatten Joseph Ratzinger zunächst im Rahmen Ihrer beruflichen Aufgaben kennengelernt. Damals waren Sie weder Christ noch katholisch und vor allem konnten Sie unmöglich wissen, was diese erste Aufgabe für Sie beruflich und privat bedeuten würde. Wenn Sie sich zurückerinnern: kam dennoch schon eine erste Ahnung auf Sie zu?

Peter Seewald: Nein. Zumindest nicht in den ersten Jahren. Nach unserem ersten Buch „Salz der Erde“ sollte für mich Schluss sein. Ich war still und leise zur katholischen Kirche zurückgekehrt, aber als Journalist war das Thema Religion für mich erstmal durch. Als mir der damalige Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, Hans Werner Kilz, den Posten des kirchenpolitischen Redakteurs anbot, lehnte ich dankend ab.


Kann man sagen: Für Sie persönlich war Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. ein „Lehrer zur Kirche hin“?

Peter Seewald: Da ist so ein Reichtum bei ihm, dass man nicht fertig wird, darüber zu staunen. Etwa über seine radikale intellektuelle Ehrlichkeit. Sein europäisches Denken. Vor allem über seine Katechese. Er schrieb Sätze wie: „Glauben ist nichts anderes, als in der Nacht der Welt die Hand Gottes berühren.“

Hier war ein großer spiritueller Meister, der es wie kaum ein anderer vermochte, den Glanz einer höheren Welt zu vermitteln. Damit hob er seine Hörer und Leser in eine Höhe, in der Geist und Seele frei schweben können. Eine Sphäre, die etwas von der Schönheit und der Wahrheit der christlichen Botschaft zeigt. Im Gegensatz zu vielen seiner Professorenkollegen stellte sich Ratzinger in den Strom der geschichtlichen Kirche und nicht selbstherrlich gegen sie. Vor allem konnte man sich bei ihm sicher sein, dass das, was er sagte, vielleicht unbequem war, aber zuverlässig der Botschaft des Evangeliums, der Lehre der Kirchenväter und den Erfahrungen aus der 2000-jährigen Tradition der Kirche entsprach. Kurz: Wer Ratzinger liest, fragt nicht danach, wie WIR die Kirche haben wollen, sondern wie ER sie haben will.

Wie stehen Sie zur Frage, ob Benedikt offiziell zum Kirchenlehrer ernannt werden sollte?

Peter Seewald: Umgekehrte Frage: wer sonst? Das wird den notorischen Ratzinger-Kritikern nicht gefallen. Aber es wird passieren. Ganz einfach, weil es logisch, konsequent und unaufhaltsam ist. Niemand sonst hat im 20. und am Beginn des 21. Jahrhunderts so wegweisende Impulse für Kirche und Glauben gegeben wie er. Ohne ihn gäbe es kein Zweites Vatikanisches Konzil, wie wir es kennen. Niemand sonst hat ein überzeugenderes Konzept entwickelt, wie das Christentum auch unter den Bedingungen einer ihm wieder feindlich gewordenen Umgebung authentisch bleiben kann. Niemand sonst hat so konsequent Irrlehren bekämpft; niemand so früh gezeigt, dass sich die bisherige Gestalt der Kirche im Westen nicht halten lasse und dass es ihr – Stichwort Entweltlichung – guttun würde, ihre Güter aufzugeben, um ihr eigentliches Gut zu bewahren und ihrem eigentlichen Auftrag gerecht zu werden.

Papst Franziskus sagte laut Ihrem Buch über die Wahl seines Vorgängers zum Oberhaupt der katholischen Weltkirche: „In dem Moment der Geschichte war Ratzinger der einzige Mann mit der Statur, der Weisheit und der notwendigen Erfahrung, um gewählt zu werden“.

Peter Seewald: So ist es geblieben. Keiner war hellsichtiger, weiser, klarer und schöner im Ausdruck. Keiner hat die Schönheit, die Wahrheit, die Freude des Glaubens und nicht zuletzt die Einheit von Vernunft und Glauben besser zum Ausdruck gebracht. Was sein Nachfolger uneingeschränkt anerkennt. „Für mich war Benedikt eine feste Burg“, sagte Franziskus unlängst, „im Zweifel ließ ich den Wagen kommen, fuhr zum Kloster und befragte ihn.“

Letztlich wurde Benedikt der bedeutendste Theologe, der jemals auf dem Stuhl Petri saß. Der nicht zur Entkernung, sondern wieder zum Kern führte. Die Belege, die für Benedikt als den Kirchenlehrer der Moderne sprechen, ließen sich lange fortsetzen. Allein seine unfassbar tiefgehenden Christus-Trilogie, der ersten eines Papstes überhaupt, ist ein unersetzliches Vermächtnis.

Und wie könnte man damit umgehen, falls diese Ernennung nach dem Motto vonstatten gehen würde: „Gut Ding will Weile haben“?

Peter Seewald: An Benedikt XVI. scheiden sich die Geister. Das wird so bleiben. Aber das ist nicht unbedingt ein Nachteil. Hier trennt sich die Spreu vom Weizen. Um es mit einem Bild zu sagen: Reformprozesse sind immer nötig, aber man sieht auch: überall da, wo Ratzinger draußen vor der Tür bleiben muss, herrscht aufgeregtes Gegacker und unfruchtbares Gezänk. Und überall da, wo er hereingelassen wird, bewegt sich etwas, zeigen sich Quellen, die wir brauchen, um nicht geistlich zu versteppen.

Das gläubige Kirchenvolk hat über diese Frage im Übrigen längst abgestimmt. Als der meistgelesene Theologe der Neuzeit mit Millionenauflagen rund um den Erdball ist Benedikt XVI. de Facto der Kirchenlehrer der Moderne schlechthin; einer, der nicht die Anschlussfähigkeit an die Welt betrieb, sondern eine innere Revitalisierung des Christentums von seinen Wurzeln her. Rund um den Globus gibt es heute eine regelrechte Flut von Symposien, Konferenzen, Katechesen, Gebetskreise, die sich alle mit Benedikts Vermächtnis beschäftigen, dann die viele Initiativen, Priester, missionarische Laien, für die Papst Benedikt eine Art Moses unsere Zeit darstellt, der den Weg durch die Wüste zeigt.

Welche Gedanken und Gefühle kamen Ihnen in der Zeit des Sterbens und des öffentlichen Abschiednehmens von Papst Benedikt XVI.?

Peter Seewald: Ehrlich gesagt hatte ich kaum Zeit für Gefühle. Ich war durch Interview-Anfragen aus allen möglichen Ländern so eingespannt, dass ich gar nicht zum Trauern kam. Natürlich schmerzt einen die Nachricht, dass es diesen wunderbaren Menschen jetzt nicht mehr unter uns gibt. Er selbst sehnte sich ja schon sehr lange nach dem „Heimgang“. Und er wusste genau, wohin die Reise geht. „Wenn Zugehören zur Kirche überhaupt einen Sinn hat“, meinte er einmal, „dann doch nur den, dass sie uns das ewige Leben und so überhaupt das richtige, das wahre Leben gibt. Alles andere ist zweitrangig.“

Mir tat es leid, zu sehen, was er noch alles auszuhalten hatte. Nicht nur die unerhörten Angriffe gegen ihn, der Versuch, ihn gänzlich auszuschalten, indem man ihn quasi für den ganzen sexuellen Missbrauch verantwortlich machte (obwohl Fachleute sich darüber einig sind, dass es Ratzinger war, der als Präfekt und Pontifex den Weg für den Kampf gegen diese Verbrechen geebnet hat), sondern auch seine vielen gesundheitlichen Leiden. Er hat nie geklagt darüber. Die Öffentlichkeit wusste noch nicht einmal, dass er bei seinem Amtsantritt auf dem linken Auge völlig erblindet war, dass er seit seiner Studentenzeit chronische Kopfschmerzen hatte, dass er einen Herzschrittmacher benötigte, dass er – als jemand, der sich auch nachts den Kopf darüber zerbrach, wie er seinen Aufgaben so gut es nur geht gerecht werden konnte – auf immer stärkere Schlafmittel angewiesen war.

So gesehen war ich auch dankbar dafür, dass ihm am 31. Dezember die Stunde gegeben wurde, in die andere Welt hinüberzugehen, an einem Tag, Sylvester, der nun immer auch mit Papst Benedikt verbunden sein wird. Auf dem Heimflug nach dem Requiem in Rom hatte ich ein wunderbares Erlebnis. Nachdem der Flieger die dicke Wolkendecke durchbrochen hatte, eröffnete sich ein traumhafter Himmel; sonnig und warm. Nur schön. Es war ein Bild dafür, wo Papst Benedikt jetzt ist: empfangen von Licht, Wärme, grenzenloser Liebe; alles Böse, alle Häme und Anfeindung hinter sich lassend. 

Welche Erinnerung an Papst Benedikt ist Ihnen die persönlich kostbarste?

Peter Seewald: Da gibt es unendlich viele. Seine Herzlichkeit. Seine Einfachheit. Sein Humor. Vorbildlich waren sein Mut, seine gerade Linie. Er hat damit nicht zuletzt die Lehre aus dem Versagen der Kirchen in der Nazizeit gezogen. Für ihn war klar: Nie wieder Anpassung an einen Zeitgeist, an das Verlangen einer manipulierten Masse, bei der die Wahrheit unter die Räder kommt.

Er beherzigte nach der Apokalypse des Zweiten Weltkrieges vor allem auch das Bekenntnis der protestantischen Kirchen in Deutschland, die sich 1945 anklagten, „dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.“ Joseph Ratzinger hat sein Leben lang mutig bekannt, treu gebetet, fröhlich geglaubt und brennend geliebt. Was könnte man über einen Nachfolger Christi Größeres sagen?

Bei unserem letzten Treffen am 15. Oktober 2022 hatte ich ihn gefragt: „Papa Benedetto, was tröstet Sie?“ Seine Antwort war: „Dass Gott alles in der Hand behält.“

 

Großer kath.net-Buchtipp – NEUERSCHEINUNG! - Vielleicht die wichtigste Buchneuerscheinung des Jahres - ein MUST HAVE!
Peter Seewald: Benedikts Vermächtnis
Das Erbe des deutschen Papstes für die Kirche und die Welt
Hardcover, 400 Seiten
2023 Hoffmann Und Campe
ISBN: 978-3-455-01258-3
Preis: 25,70 Euro

 

Foto: (c) Peter Seewald


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Lesermeinungen

 Dottrina 2. Februar 2023 
 

Was für ein wunderschönes Interview!

Herzlichen Dank an kath.net und Peter Seewald für dieses wirklich schöne Interview. Da geht einem das Herz auf. Ich werden unseren Benedetto immer im Herzen lieben und verehren. Für mich ist er schon jetzt ein Kirchenlehrer, und heilig ist er für mich schon längst.


1
 
 Coburger 2. Februar 2023 
 

Jesus spricht in Sievernich von "Benedikt XVI., Eurem Fels" (Petrus).
Es ist eine Bestätigung dessen, was immer so war: Benedikt XVI. der das göttliche Amt nicht niedergelegt hatte.


1
 
 SalvatoreMio 2. Februar 2023 
 

"Im Denken klar, im Reden wahr" ...

Von Herzen Dank für dieses Interview! Ich bin froh, es noch entdeckt zu haben. - In meiner Wohnung hängt die "Salzburger Handschrift aus dem Mittelalter" (Geschenk von + Pfarrer). Es beginnt: "Ein Priester muss sein ganz groß und ganz klein ... ein Führer im Kampf der Geister ... vor keinem Großen sich beugend, zu dem Geringsten sich neigend ...": als wären diese Worte eigens Papst Benedikt gewidmet! - Ich finde, dieses Ideal eines Priesterbildes passt für jeden Menschen, der Christus nachfolgen will.

H


1
 
 Polarstern 1. Februar 2023 
 

Treffend und schön

Danke, Herr Seewald! Es ist Ihnen wieder gelungen, Ihre Erinnerungen und Gedanken hier so treffend und schön zu beschreiben. Das freut mich zutiefst.


4
 
 Hängematte 1. Februar 2023 
 

An Papst Benedikt sieht man, wie es einem Papst ergeht, dem die Medien

nicht gewogen sind. Man sieht, es geht nicht um Wahrheit sondern um Angepasstheit. Aber Hirten, die angepasst sind, werden ihre Zeit nicht überleben und vergessen werden.
Die Kirche darf ihren "Markenkern" nicht aufgeben.


4
 
 lesa 1. Februar 2023 

Wir verdanken auch Herrn Seewald viel.
Danke für dieses schöne Interview!


3
 
 Coburger 1. Februar 2023 
 

Nicht mal der Teufel glaubt das

„Für mich war Benedikt eine feste Burg“, sagte Franziskus unlängst, „im Zweifel ließ ich den Wagen kommen, fuhr zum Kloster und befragte ihn.“


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