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„Christenverfolgung von Kaliningrad bis zum Pazifik“

8. November 2017 in Weltkirche, keine Lesermeinung
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100 Jahre Oktoberrevolution - Interview mi Peter Humeniuk, „Kirche in Not“-Referent für Russland und Mittelasien. Von Maria Lozano


München (kath.net/KIN) Am 7. November 1917 – nach dem in Russland gültigen julianischem Kalender ist das der 25. Oktober – brach die Oktoberrevolution aus, die zum Aufstieg des Kommunismus zur Weltmacht führte. Die Folgen waren Bürgerkrieg, gewaltsame gesellschaftliche Veränderungen, die Teilung Europas und eine jahrzehntelange Christenverfolgung. Nach dem Zusammenbruch des Sowjetregimes 1991 erleben Glaube und Kirche in Russland einen neuen Frühling. Auf ausdrücklichen Wunsch des heiligen Papstes Johannes Pauls II. unterstützt das weltweite päpstliche Hilfswerk „Kirche in Not“ auch den Wiederaufbau und die Arbeit der russisch-orthodoxen Kirche. Diese ökumenische Zusammenarbeit trägt Früchte, zum Beispiel in der gemeinsamen Hilfe für die verfolgten Christen im Nahen Osten. Maria Lozano sprach mit dem Referenten von „Kirche in Not“ für Russland und Mittelasien, Peter Humeniuk, über den Leidensweg der russischen Christen und eine neue Solidarität mit den Verfolgten von heute.

Maria Lozano: Ist der 100. Jahrestag der Oktoberrevolution ein wichtiger Gedenktag in Russland?

Peter Humeniuk: Ja, es ist ein sehr wichtiger und sehr trauriger Gedenktag. Denn mit der Revolution begann eine der größten Christenverfolgungen der Neuzeit und möglicherweise der gesamten Menschheitsgeschichte. Die orthodoxe Kirche hat unsagbar gelitten. Vor der Revolution gab es in Russland 60 000 Gotteshäuser. Zwanzig Jahre später waren davon nur noch 100 übrig. Allein in den ersten beiden Jahren ihrer Herrschaft haben die Sowjets über 15 000 Priester getötet. Mehr als 300 Bischöfe endeten auf dem Schafott oder starben in Gefangenschaft. Das von der schlimmsten Christenverfolgung der Geschichte betroffene Gebiet reichte von Kaliningrad bis zum Pazifik.


Lozano: Ist die heute wieder aufgeblühte Kirche in Russland für das Thema Christenverfolgung stark sensibilisiert?

Humeniuk: Es gibt Parallelen zwischen den Ereignissen nach der Oktoberrevolution und dem, was aktuell zum Beispiel im Nahen Osten geschieht. Die russische Kirche hat alles bereits durchlaufen, was unsere Glaubensgeschwister in Syrien, im Irak und der ganzen Region jetzt erleiden. Wenn irgendwo auf der Welt versucht wird, das Christentum auszurotten, kennen die Russen das nicht nur vom Hörensagen!

Der heilige Papst Johannes Paul II. hatte ein sehr tiefes Bewusstsein dafür, was man „Ökumene der Märtyrer“ nennt. Vor diesem Hintergrund ersehnte er von ganzem Herzen eine Annäherung an die russisch-orthodoxe Kirche. Der Gründer von „Kirche in Not“, Pater Werenfried van Straaten, teilte diesen Wunsch. Sein ganzes Leben hatte er in den Dienst der Versöhnung und der christlichen Solidarität gestellt.

Lozano: Diese Arbeit setzt „Kirche in Not“ fort, zum Beispiel mit Hilfsaktionen für die Christen in Syrien. Dabei gibt es eine enge Zusammenarbeit mit der russisch-orthodoxen Kirche. Wie kam das zustande?

Humeniuk: Unsere Zusammenarbeit ist eines der konkreten Ergebnisse aus der historischen Begegnung zwischen Papst Franziskus und Patriarch Kyrill im Februar 2016 auf Kuba. Daraus sind eine Reihe gemeinsamer Projekte entstanden, die von der römisch-katholischen Kirche in Russland und dem Moskauer Patriarchat gemeinsam getragen werden. „Kirche in Not“ unterstützt und begleitet diese Arbeit: Wir haben die katholische und orthodoxe Delegation begleitet, die schon kurz nach der Begegnung von Kuba den Libanon und Syrien besucht hat, um sich über die Lage der christlichen Flüchtlinge zu informieren und gemeinsam Hilfen in die Wege zu leiten.

Lozano: Wie sieht das konkret aus?

Humeniuk: Gerade komme ich aus dem Libanon zurück. Dort gab es ein Treffen von Vertretern aller dort ansässigen Konfessionen mit Metropolit Hilarion, dem Leiter des Außenamts des Moskauer Patriarchats. Im Vordergrund stand der Aufbau einer Datenbank, um die Zerstörung der „geistlichen Infrastruktur“ – also von Kirchen, Klöstern und kirchlichen Einrichtungen – in Syrien zu dokumentieren. Außerdem gibt es Pläne zum Wiederaufbau der heiligen Stätten, die der sogenannte „Islamische Staat“ zerstört hat und für gezielte Kinder- und Jugendhilfen in der Region. Über diese Arbeit haben wir auch Papst Franziskus und Patriarch Kyrill informiert.

Lozano: Warum ist die Dokumentation der Zerstörungen so wichtig?

Humeniuk: Es geht den IS-Kämpfern nicht nur darum, die Gebäude zu zerstören. Vielmehr möchten sie auch die „geistliche Heimat“ der Menschen zerstören. Alle christlichen Symbole und Gebäude bedeuten für die Verfolgten im Nahen Osten Heimat und Zugehörigkeit. Der IS will diese Menschen mit ihrer Geschichte und ihrer sozialen Verwurzelung vernichten. Uns – katholischen wie orthodoxen Vertretern – geht es darum, diese Zeugnisse der Verfolgung und des Martyriums festzuhalten. Diese Verbrechen müssen dokumentiert werden, damit die Erinnerung lebendig bleibt und damit so etwas nicht wieder geschieht.

Lozano: Auch „Kirche in Not“ kann in diesen Wochen einen Gedenktag begehen: Vor 25 Jahren, Mitte Oktober 1992, reiste Pater Werenfried van Straaten zum ersten Mal nach Russland. Er traf dort mit dem damaligen Patriarchen Alexej II. zusammen. Es war der Beginn der Hilfen für die russisch-orthodoxe Kirche. Wie würden Sie die heutige Zusammenarbeit beschreiben?

Humeniuk: Es ist uns gelungen, auf verschiedenen Ebenen ein herzliches Vertrauensverhältnis zur orthodoxen Kirche aufzubauen. Ich bin davon überzeugt, dass unsere Aufbauarbeit dazu beigetragen hat, dass das Treffen zwischen Papst Franziskus und Patriarch Kyrill überhaupt möglich wurde. Jetzt besteht unsere wichtigste Aufgabe darin, die Ergebnisse dieser Begegnung in die Tat umzusetzen. So haben wir jetzt zum Beispiel eine Arbeitsgruppe aus russischen Katholiken, der orthodoxen Kirche und Vertretern von „Kirche in Not“ gebildet.

Lozano: Mit welchem Ergebnis?

Humeniuk: Neben der Unterstützung für die Christen im Nahen Osten haben wir zum Beispiel ein Projekt gestartet für Frauen, die sich in kritischen Situationen befinden oder häuslicher Gewalt ausgesetzt sind. Wichtig ist uns die Stärkung der christlichen Werte, wie Familie und Lebensschutz. Darum helfen wir auch Frauen, die sich gegen eine Abtreibung entschieden haben und jetzt Schutz brauchen.

Wir unterstützen die Ausbildung des orthodoxen Klerus und fördern den Erfahrungsaustausch zwischen unseren Kirchen. Zum Beispiel haben sich vor kurzem eine Delegation aus Italien und Portugal mit orthodoxen Vertretern getroffen, um sich über die pastorale und karitative Begleitung von drogenabhängigen Menschen auszutauschen. Das Treffen fand im katholischen Seminar von Sankt Petersburg statt. Es waren hochrangige orthodoxe Professoren, Priester, Ärzte und Psychologen dabei. Das ist für uns ein Sinnbild lebendiger Ökumene, im Dienst für die Menschen und im Geist gemeinsamer Verantwortung. Und diesen Weg wollen wir fortsetzen!

Foto: Schüler entzünden Kerzen in einer orthodoxen Kirche in Sankt Petersburg © KIRCHE IN NOT


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