29. April 2025 in Weltkirche
Mit der Wahl des nächsten Papstes entscheiden die wahlberechtigten Kardinäle auch über den Kurs, den die Kirche im Verhältnis zur modernen Welt einschlagen wird, schreibt der amerikanische Theologe und Papst-Biograph.
Vatikan (kath.net/jg)
Beim kommenden Konklave steht eine Frage im Hintergrund, welche die katholische Kirche seit dem späten 18. Jahrhundert beschäftigt: Soll sich die Kirche an die moderne Welt anpassen, wie es der liberale Protestantismus getan hat und der deutsche Katholizismus es jetzt versucht? Oder sollte die Kirche daran arbeiten, die heutige Welt zu bekehren und dem modernen Streben nach Freiheit, Gleichheit und Solidarität eine feste Grundlage in den Wahrheiten geben, welche die biblische Religion seit Jahrtausenden lehrt? Das ist das Thema für das kommende Konklave, schreibt George Weigel, renommierter Theologe und Biograph Johannes Pauls II., in einem Gastbeitrag für das Wall Street Journal vom 23. April.
Seit dem II. Vatikanischen Konzil ist die Bruchlinie in der katholischen Kirche durch zwei konkurrierende Ansätze über das Verhältnis der Kirche zur modernen Welt bestimmt. Eine Interpretationsweise sieht im Konzil einen Neuanfang der Kirche, selbst wenn das bedeutet, dass Wahrheiten, die seit fast zweitausend Jahren gegolten haben, verändert oder aufgegeben werden müssten. Der andere Ansatz sieht im II. Vaticanum eine Reform der Kirche in „dynamischer Kontinuität“ mit der Tradition, schreibt Weigel.
Beide Richtungen wollen die Kirche für Christen und andere attraktiv machen, die in unserer chaotischen Welt nach spirituellen Einsichten und Orientierung suchen. Aber nur der zweiten Richtung, die Weigel als „dynamische Orthodoxie“ (im Sinne von „Rechtgläubigkeit“) bezeichnet, sei es gelungen, die Menschen in größerer Zahl in die Kirchen zu bringen.
Obwohl Deutschland mit Kardinal Reinhard Marx, Kardinal Rainer Maria Woelki und Kardinal Gerhard Ludwig Müller nur drei wahlberechtigte Kardinäle im nächsten Konklave haben wird, werde die Situation der Kirche in Deutschland die Beratungen der Kardinäle mitbestimmen. Der deutsche Katholizismus sei das „wichtigste Laboratorium“ für eine an die Moderne angepasste Kirche, schreibt Weigel. Die Kirche in Deutschland sei „immens reich, stark bürokratisiert und für die deutsche Linke gesellschaftlich akzeptabel, insbesondere aufgrund der Ansichten ihres Führungspersonal zu LGBT-Themen, der Gender-Ideologie und der Trans-Bewegung“, fährt er wörtlich fort.
Doch religiös gehe sie dem Untergang entgegen, stellt er fest. In manchen urbanen Gebieten liege der Anteil der Messbesucher an Sonntagen unter 2 Prozent. Dies halte die überwiegende Mehrheit der deutschen Bischöfe aber nicht davon ab, ihre Auffassung von Kirche – die man als „Kirche des Vielleicht“ oder „Katholisch-light“ bezeichnen könnte – für den einzig möglichen Weg für den Katholizismus im 21. Jahrhundert zu halten, merkt Weigel an.
Diese Ansicht sei unter anderem dadurch falsifiziert, dass der lebendigste Teil der Kirche in den USA im Lager der „dynamischen Orthodoxie“ stehe. Vor allem werde sie widerlegt durch das beachtliche Wachstum der Kirche in Afrika südlich der Sahara, wo die „dynamische Orthodoxie“ Millionen Menschen zu Christus gebracht hat. Am Ende dieses Jahrhunderts werde Afrika das „demographische Zentrum“ der katholischen Kirche sein, sagt Weigel voraus.
Bei internationalen Treffen der Bischöfe 2014 und 2015 hätten die führenden Personen des deutschen Katholizismus ihren afrikanischen Kollegen mitgeteilt, dass sie in Fragen, welche durch die sexuelle Revolution aufgeworfen werden, nicht fortschrittlich genug seien. Die Kirchenführer Afrikas haben die deutschen Bischöfe gewarnt, ihre westliche Dekadenz ihren jungen, wachsenden Gemeinden nicht aufzuzwingen.
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