19. November 2024 in Interview
Michael Hesemann über sein neues Buch „Rom im Heiligen Jahr“, Chaos und Kontroversen in der Ewigen Stadt und weshalb trotzdem jeder Katholik dem Aufruf des Papstes folgen sollte. Interview von Sr. Vianney Verena Fabekovec
Rom (kath.net) Interview mit dem Autor und Historiker Michael Hesemann. Er ist Romexperte und Pilgerführer im Heiligen Jahr.
Fabekovec: Herr Dr. Hesemann, vor nicht einmal vier Monaten durften wir an dieser Stelle Ihr Buch „Heroldsbach – als der Himmel die Erde berührte“ vorstellen und nun erscheint mit „Rom im Heiligen Jahr“ erneut eines Ihrer Werke. Erst einmal „Herzlichen Glückwunsch“ zu dieser schriftstellerischen Leistung.
Hesemann: Herzlichen Dank! Man arbeitet halt hart. Und manchmal verlangen bestimmte Ereignisse wie zuletzt der 75. Jahrestag der ersten Erscheinung von Heroldsbach und heuer das bevorstehende Heilige Jahr halt schriftstellerische „Doppelschichten“.
Fabekovec: Was hat Sie dazu veranlasst, diesen Pilgerführer zu schreiben?
Hesemann: Ich war schon beim Großen Jubiläum, dem Heiligen Jahr 2000, enttäuscht, wie wenig der deutsche Buchmarkt diesem Weltereignis des Glaubens Beachtung schenkte und beschloss damals, beim nächsten Heiligen Jahr, wenn noch immer nötig, Abhilfe zu schaffen. Nun gibt es tatsächlich noch immer kein Buch, dass die deutschen Pilger angemessen auf dieses wahre Gnadengeschenk unserer Kirche vorbereitet. Deshalb wird „Rom im Heiligen Jahr“ regelrecht benötigt! Als seit 1999 akkreditierter Vatikanjournalist und Historiker, der in den vatikanischen Archiven forscht und jedes Jahr viele Wochen in Rom verbringt, fühlte ich mich für diese Aufgabe berufen. Ich hoffe, der Leser gibt mir recht!
Fabekovec: In Ihrem Buch geben Sie einen Einblick in die Geschichte der Heiligen Jahre und auch einen Überblick über vergangene Jubiläen. Was ist für Sie das Besondere an diesen Jahren?
Hesemann: Jedes Heilige Jahr hat seine ganz eigenen Schwerpunkte, die der jeweilige Papst bestimmt. Im Jahr 2000 waren es der Eintritt in das 3. Jahrtausend und der Rückblick auf 2000 Jahre Kirchengeschichte, aber auch ein Jahrhundert der Verfolgungen und Säkularisierung. Beim Außerordentlichen Heiligen Jahr der Barmherzigkeit 2016 rief der Heilige Vater zu Buße und Umkehr auf. In 2025 wird ein besonderes Licht auf die Kirchenlehrerinnen, auf große, heilige Frauen, geworfen, womit Franziskus uns alle auf die wichtige Rolle der Frau in der Kirche hinweist. Doch alle Heiligen Jahre sind vor allem Gnadenjahre, die unserer Versöhnung mit Gott dienen und in denen wir eingeladen sind, auch für unsere lieben Verstorbenen Ablässe zu gewinnen. Es geht um unsere Erlösung und die unserer Lieben – und natürlich auch darum, gemeinsam mit Christen aus der ganzen Welt unseren Glauben zu bekennen und zu feiern!
Fabekovec: Einige prominente Persönlichkeiten der Kirche haben Beiträge über ihre Lieblingsorte verfasst. Wie gelang es Ihnen, diese Persönlichkeiten für Ihr Buch zu gewinnen? Ich kann mir vorstellen, dass es mit Sicherheit sehr interessant war, die verschiedenen Perspektiven zu erfahren. Gab es etwas, das Sie besonders überrascht oder beeindruckt hat?
Hesemann: Jeder, der mal in der Ewigen Stadt gelebt hat oder sie regelmäßig besucht, hat seinen ganz besonderen Lieblingsort. In einem Buch, das doch so viele Pilger inspirieren soll, das „heilige Rom“, das Rom der Heiligen und Märtyrer, der Reliquien und Kirchenschätze, dieses Epizentrum von 2000 Jahre Heils- und Kirchengeschichte, zu entdecken, nur die Perspektive eines Michael Hesemann gelten zu lassen, erschien mir doch ziemlich einseitig. Das Buch heißt ja schließlich nicht „Mein Rom“, sondern „Rom im Heiligen Jahr“. Da bot es sich an, prominente Romkenner zu fragen, welche Kirche oder welches Heiligtum sie denn den Pilgern ans Herz legen würden. Ich bin sehr dankbar, dass praktisch alle, bei denen ich anfragte, spontan zusagten, und zwar nicht nur Deutsche, sondern auch Schweizer und Österreicher: Prominente Kirchenmänner wie die Kardinäle Koch und Müller, Erzbischof Gänswein, gelehrte Priester-Professoren wie Stefan Heid und Ralph Weimann, erfahrene Vatikanjournalisten wie Paul Badde, Claudia Kaminski, Martin Lohmann, Martin Rothweiler, Gudrun Sailer, ja mit Fürstin Gloria von Thurn und Taxis auch eine Vertreterin des Hochadels und mit Oberst Christoph Graf der Kommandant der Schweizergarde. Ganz besonders dankbar bin ich, dass sich schließlich sogar der Vertreter des Papstes in Deutschland, der Apostolische Nuntius Erzbischof Nikola Eterovic, bereit erklärte, das Vorwort zu meinem Buch zu schreiben. Bei einigen Beiträgen meiner Gastautoren lag das Thema auf der Hand, andere waren eine echte Überraschung und auch für mich Neuland. Um Erzbischof Gänsweins Lieblingsort in den vatikanischen Gärten abzulichten musste der Hausfotograf der Schweizergarde eigens ausrücken! Oberst Graf wiederum führte mich in eine Kirche, die ich immer schon sehen wollte, es aber noch nie geschafft habe und in der, in einem eigenen Museum, wirklich beeindruckende Beweise für die Existenz des Fegefeuers verwahrt werden. Aber auch bei den von Papst Franziskus ausgewählten Jubiläumskirchen (jenseits der vier Papstbasiliken und der traditionellen Sieben-Kirchen-Wallfahrt, um die es im Buch natürlich auch und in aller Ausführlichkeit geht) gab es viel Neues zu entdecken. Eine davon, ein Wirkungsort des hl. Apostels Paulus, wurde erst vor kurzem wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. So führe ich den Pilger zu wirklich geheimen Orten, in Krypten und Katakomben, geheime Gänge unter dem Petersdom und zu den Wirkungsstätten großer Heiliger – denn langweilig ist Rom nie, etwas Neues zu entdecken gibt es immer, gleich, wie oft man dorthin kommt!
Fabekovec: Das Motto des Heiligen Jahres lautet: „Pilger der Hoffnung“. Was verbinden Sie mit diesem Motiv?
Hesemann: Ein sehr schönes Motto, sehr passend gewählt. Denn ist nicht Hoffnung das Grundmotiv unseres Glaubens? Hoffnung auf Erlösung, Hoffnung auf das Ewige Leben. Ohne Hoffnung wäre die Welt schon längst untergegangen… und nichts brauchen wir dringender als Hoffnung in unserer oft trostlosen, da gottlosen Zeit. Werden wir also alle zu Pilgern der Hoffnung, was eigentlich ganz gut beschreibt, worum es im Christentum geht. Die Kirche als „pilgerndes Gottesvolk“ war ja schon ein Thema des 2. Vatikanischen Konzils und ich denke, daran wollte uns Papst Franziskus auch erinnern.
Fabekovec: Nun gab es im Laufe der Vorbereitung auf das Heilige Jahr auch verschiedene kontroverse Themen. Eines davon betrifft sicher die umfangreichen Bauarbeiten, sowohl in der Infrastruktur, als auch rund um die bekannten Touristen – und Pilgerziele. Ist das im Zusammenhang mit einem solchen Großereignis üblich und glauben Sie persönlich, dass Rom gut vorbereitet ist auf den erwarteten Pilgerstrom?
Hesemann: Das war schon vor den letzten Heiligen Jahren so und ist halt typisch Italienisch: In letzter Sekunde werden lange geplante und ewig aufgeschobene Bauprojekte oder Renovierungen endlich doch noch in Angriff genommen und gewöhnlich wird man in letzter Sekunde oder auch mit etwas Verspätung fertig. Ich denke, spätestens zu Ostern sind die meisten Bauzäune wieder verschwunden. Natürlich, die vierzig Millionen Pilger, mit denen man rechnet, sind für Roms Infrastruktur eine Herausforderung. Aber man darf sich dadurch auch nicht entmutigen lassen. Die Römer sind Weltmeister in der Improvisation – und ihre Gastfreundschaft ist unübertroffen. Wer glaubt, der ist ohnehin nie allein. Stürzen wir uns also in dieses urkatholische Abenteuer und nutzen wir die Gelegenheit, die sich für viele von uns zu Lebzeiten nicht noch einmal bietet, den Jubiläumsablass zu erlangen. Wer sagt denn, dass Pilgern immer eine Luxusreise sein muss. Im Gegenteil, es sind doch die Herausforderungen, an denen wir wachsen!
Fabekovec: Ein weiteres Thema, das in den sozialen Medien lebhaft diskutiert wurde ist das Maskottchen „Luce“. Vorweg gesagt möchte ich für mich sagen, dass ich nicht wirklich ein Fan bin, meine Kinder im Jugendalter es aber zumindest „cool“ finden. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Hesemann: Nun ja, ob das Heilige Jahr nun wirklich ein Manga-Maskottchen braucht, darüber kann man geteilter Meinung sein. Der nette Pilger-Bär, der jetzt noch in den Läden rund um den Vatikan verkauft wird, hätte es auch getan, der hätte sogar Papst Benedikt gefallen – aber das sage ich als „Boomer“, als 60jähriger, der längst Großvater sein könnte. Die Jugendlichen, die zu den Heiligjahrfeiern der Teenager und Twens erwartet werden, sind da sicher anderer Meinung. Wenn „Luce“ sie einlädt, auf Pilgerreise zu gehen und das Licht des Glaubens zu finden, dann hat sie zumindest ihren Zweck erfüllt!
Fabekovec: In Ihrem Buch erfährt der Leser auch so machen „Insider Tipp“. Gibt es für Sie als Romkenner außer der vorgestellten Orte noch absolute „must see“ oder „must do“ Dinge?
Hesemann: Natürlich habe ich mich im Buch trotz einzelner „Sidetrips“ etwa auf den Spuren römischer Märtyrer oder bedeutender Reliquien dann doch auf die 40 Heiligjahrkirchen konzentriert. Da gibt es so viel, das nicht berücksichtigt werden konnte, weshalb ich ein weiteres Buch, „Rom für Pilger“ plane, aber frühestens für 2027. Dass im vorliegenden Buch etwa das Wohnhaus des hl. Markus, der Ort, an dem das älteste Evangelium niedergeschrieben wurde, ebenso fehlt wie Santa Maria in Aracoeli mit dem „Bambino Gesu“ und dem Grab der hl. Helena, S. Pietro in Vincoli mit den Ketten Petri und dem Michelangelo-Moses oder der Mamertinische Kerker, in dem Petrus und Paulus auf ihre Hinrichtung warteten, um nur vier Beispiele zu nennen, schmerzt natürlich; aber mit 432 Seiten habe ich nun wirklich die „Schmerzgrenze“ für einen Reiseführer erreicht und, wie gesagt, es wäre auch das Thema verfehlt worden, denn es sollte doch um das Heilige Jahr gehen. Zumal der Pilger ohnehin mehr als eine Pilgerreise bräuchte, um allein alle 40 Heiligjahrkirchen zu besuchen. So konzentrierte ich mich eben auf das Thema meines Buches, auf das Wesentliche für 2025!
Fabekovec: Hand aufs Herz, Herr Hesemann: Was sind denn Ihre drei römischen Lieblingsorte?
Hesemann: Sie meinen drei Orte, die ich jedem Rombesucher unbedingt ans Herz legen möchte?
Fabekovec: Genau das!
Hesemann: Der Petersdom ist ja ein „Muss“, den braucht man nicht zu empfehlen; wer ihn nicht gesehen hat, der war nicht in Rom. Aber auch die Ausgrabungen unter dem Petersdom, die „Scavi“ mit der antiken Totenstadt und dem Petrusgrab, sollte jeder unbedingt einmal besuchen. Dann natürlich S. Croce in Gerusalemme mit den bedeutendsten Reliquien Roms: Dem – wie ich 1999 in meinem Buch „Die Jesus-Tafel“ nachweisen konnte – authentischen Fragment der Kreuzesinschrift Jesu („I. Nazarinus“) und dem „Heiligen Nagel“, der einst das Handgelenk unseres Erlösers durchbohrte. Es ist das römische Golgota, ein Ort der zutiefst berührt. Und dann liebe ich nicht nur S. Maria Maggiore, die einzige der vier Patriarchalbasiliken, in denen man mehr Beter als Touristen findet, sondern, gleich gegenüber, das Kirchlein S. Prassede mit seinen herrlichen Fresken, frühmittelalterlichen Goldmosaiken, Märtyrerreliquien und der Geißelungssäule Jesu. Aber diese Auswahl ist natürlich rein subjektiv; jeder, der in die Ewige Stadt kommt, wird wohl seine ganz persönlichen Lieblingsorte finden!
Fabekovec: Haben Sie zum Abschluss noch irgendwelche Tipps, wie sich die Leser dieses Artikels auf eine Pilgerfahrt vorbereiten können? Vielleicht auch, was angesichts der 100000 Pilger pro Tag für einen reibungslosen Ablauf und eine wirkliche Glaubenserfahrung hilfreich sein könnte?
Hesemann: Ich würde jedem Pilger empfehlen, sich auf jeden Fall eine Unterkunft in Vatikannähe zu suchen (da gibt es auch preiswerte B&Bs, Apartments oder Zimmer in Klöstern und Ordenshäusern), um dem römischen Straßenverkehr zu entgehen, der ein unersättlicher Zeitfresser ist. Von öffentlichen Verkehrsmitteln rate ich eher ab, wegen der zahlreichen Taschendiebe. Wer kein Freund von Fahrrädern oder Elektrorollern ist, sollte das traditionelle Fortbewegungsmittel der Pilger wiederentdecken, unsere Füße. Per pedes pellegrinorum! Die meisten Jubiläumskirchen sind tatsächlich vom Vatikan aus mehr oder weniger bequem zu Fuß zu erreichen. Lang werden die Schlangen am Petersdom, aber dafür gibt es zum einen Pilgerpass, mit dem man sogar ein Zeitfenster buchen kann, und einen eigenen Eingang für Betende, damit diese nicht mit den Touristen in der ganz langen Schlange warten müssen. Zudem empfiehlt es sich für Individualreisende immer, antizyklisch zu reisen, etwa in den Monaten Januar bis März oder November-Dezember. Da sind die Straßen freier, die Hotelpreise niedriger und besser als in Deutschland ist das Wetter alle Male – also optimale Bedingungen, um eine Pilgerreise nach Rom im Heiligen Jahr zu einer authentischen, tiefen Glaubenserfahrung werden zu lassen! Doch auch wenn man zu den großen Pilgertreffen oder der Heiligsprechung von Carlo Acutis kommen möchte: „Habt keine Angst!“, um den hl. Johannes Paul II. zu zitieren. Immerhin sind die Tore weit geöffnet für Christus. Was gibt es Schöneres, als seinen Glauben mit wunderbaren Mitchristen aus der ganzen Welt zu feiern, auch und gerade in der Fülle, die nie eine Überfüllung ist, denn die Gnade Gottes kennt doch keine Grenzen! Also: Willkommen in Rom, als Pilger der Hoffnung! Vielleicht begegnen wir uns ja in der Ewigen Stadt!
Fabekovec: Danke, Herr Hesemann, ich freue mich auf jeden Fall schon auf Ihr Buch und das Heilige Jahr!
Michael Hesemann: Rom im Heiligen Jahr, Illertissen (Media Maria) 2024 – erhältlich für EUR 28,-- bei www.michael-hesemann.com
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