31. Oktober 2024 in Spirituelles
Die Herausforderung für die Christen unserer Tage - Von Francis X. Maier / VISION2000
Wien (kath.net/http://vision2000.at)
Ruhige Zeiten in der Kirche ist eine seltene und schöne Sache, wobei das Wort „selten“ besonders zu betonen ist. Und das erklärt, warum zwei meiner Lieblingsheiligen Franz von Assisi und Augustinus von Hippo sind. Beide lebten in einer Zeit innerkirchlicher Konflikte und schwerer Unruhen in der sie umgebenden Kultur. Und keiner dieser Männer war schwach oder naiv.
Franziskus war in keinerlei Weise das weibische Blumenkind populärer Darstellungen. Er war ein beeindruckender Mann, ein herausfordernder Ordensgründer mit einer intensiven eucharistischen Frömmigkeit. Und Augustinus war ein treuer Hirte seines Volkes in einer Welt weit verbreiteter Irrlehren; ein Bischof, der nicht nur über einen großen Intellekt verfügte, sondern auch über das Rückgrat, die Wahrheit zu verkünden und für sie zu kämpfen. Mit großem Einsatz tat er dies auch während seiner gesamten Amtszeit.
Und das bringt uns zu einem Paradoxon. Die Kirche ist unsere „Mater et Magistra“, unsere Mutter und Lehrerin, die Quelle unseres Trostes. Sie besteht, um die Welt durch die Verkündigung Jesu Christi zu verändern. Und die Geschichte zeigt, dass sie im Großen und Ganzen ziemlich gute Arbeit geleistet hat. Die Kirche ist und war schon immer voller unbekannter Alltags-Heiliger und einer Menge anderer guter Menschen, die versuchen, Heilige zu sein. Und doch gibt es direkt neben ihnen in der Kirche eine aktive Minderheit von Betrügern, Heuchlern und Schurken.
In der realen Welt besteht die Kirche eben aus Menschen und wird von solchen geleitet. Und Menschen sind Geschöpfe mit Fehlern. Und dennoch sehnen wir uns nach 20 Jahrhunderten immer noch nach etwas, was über diese Welt hinausweist; loben wir immer noch Jesus Christus; glauben wir immer noch an die Kirche und ihre Mission. Etwas trägt und erhebt die Kirche über Zeiten harter Jahrhunderte hinweg, auch wenn wir uns nach besten Kräften bemühen, sie zu ruinieren. Und dieses „Etwas“ ist ein liebender Gott, der Seine Braut niemals im Stich lässt.
Darum geht es also: Wenn wir als Christen in die Zukunft blicken, gibt es gute und schlechte Nachrichten. C.S. Lewis beschrieb das Christentum nicht ohne Grund als „kämpfende Religion“. Es gibt Böses auf der Welt und Böses in unseren eigenen Herzen. Der Prozess der Bekehrung bringt notwendigerweise Konflikte mit sich. Aber das Evangelium ist eine gute Nachricht. Und am Ende überwiegen die guten Nachrichten die schlechten. (…)
Jemand Berühmter sagte einmal, die Wahrheit werde uns frei machen – nicht etwa bequem etabliert, sondern frei, die Art zu ändern, wie wir denken und handeln. Da wir also gerade eine Art „Apokalypse“ durchleben, könnten wir uns gewinnbringend auf drei sehr einfache Punkte konzentrieren: erstens, wo wir jetzt als Kirche in den USA stehen; zweitens, wie und warum wir es dazu gekommen ist; und drittens – und noch erfreulicher – was wir dagegen tun können.
Was Punkt eins betrifft, wo wir uns jetzt befinden: Die meisten von uns spüren bereits, dass die Kirche in diesem Land jetzt in einem äußerst komplizierten Umfeld agiert. Der Missbrauchsskandal im Klerus hat viele gute Leute verletzt und der Glaubwürdigkeit der Kirche geschadet. Die katholische Sexualmoral – die dem gesamten biblischen Verständnis davon zugrunde liegt, wer und was es bedeutet, ein Mensch zu sein – wird meist als engstirnig angesehen. Taufen, sakramentale Trauungen und Kirchenbesuche sind im Allgemeinen zurückgegangen. Fast jeder dritte Priester, der als Bischof nominiert wurde, lehnte es aufgrund der Belastungen und der Kritik, die das Amt mit sich bringt, ab.
Wir erleben einen generationsübergreifenden Wandel in unseren Überzeugungen und Werten. Er hat eine enorme Dynamik und lässt sich nicht so leicht rückgängig machen. Das führt sowohl zu Unklarheiten und Spaltungen innerhalb der Kirchenführung als auch zu einem Gefühl der Verwirrung und Machtlosigkeit bei einzelnen Gläubigen – oder zumindest bei den Gläubigen, die das Geschehen verfolgen. Das Land, in dem ich aufgewachsen bin, existiert nicht mehr wirklich. Und es gibt keine schnelle Lösung für die Probleme, die wir verursacht haben…
Kommen wir nun zu Punkt Nr. 2: Wie und warum es dazu gekommen ist. Nach dem Missbrauchsskandal im Klerus ist die Verlockung groß, die Schuld für nahezu alles, was mit der Kirche nicht stimmt, unseren Bischöfen zu geben. Das wäre praktisch. Es wäre aber auch falsch. (…) Ich bin Vater und Großvater. Wie alle anderen bin ich wütend wegen des Skandals um den Missbrauch von Geistlichen. Ich habe mehr als die Hälfte meiner Karriere als Diözesanmitarbeiter mit dem menschlichen Schaden zu kämpfen gehabt. Aber es ist unsinnig zu glauben, dass abartiger und schlimmer Sex irgendwie spezifisch katholisch sei. Das ist eindeutig nicht der Fall. Wir leben in einer hypersexualisierten Gesellschaft. Alles und jeder ist davon betroffen Und die Kirche ist nicht immun. Wir haben heute eine Kultur, die genauso von Hardcore-Pornografie durchdrungen ist wie Rom im ersten Jahrhundert nach Christus. (…)
Und da ist noch ein entscheidender äußerer Faktor: Die heutige Tech-Welt ist permanent im Wandel. Die Geschwindigkeit der technologischen Veränderungen stellt alles menschliche Erleben in den Schatten. Das führt zu emotionalen Problemen und hat eine fortgesetzte, verunsichernde Wirkung auf die Gesellschaft und die Psyche des einzelnen Menschen. Um klaren Verstand zu bewahren, müssen wir irgendwie das Gefühl der Beständigkeit und transzendenten Bedeutung in den Köpfen wiederherstellen, die durch die Informationsüberflutung knusprig gebacken sind. Und das scheint natürlich eine Aufgabe für die Kirche zu sein.
(…) Nun zu Punkt Nr. 3: Was wir jetzt tun können; was wir jetzt tun müssen. (…) Als Katholiken sind wir Teil einer fortdauernden Heilsgeschichte, die 2.000 Jahre zurückreicht. Und das müssen wir wertschätzen. Die Geschichte lehrt uns immer zwei wichtige Dinge: Demut, weil wir eine bemerkenswerte Gabe haben, Dinge zu vermasseln; und Hoffnung, denn selbst im schlimmsten Fall lässt Gott sein Volk nicht im Stich.
Was unsere Bischöfe betrifft: Sie alle haben unterschiedliche Fähigkeiten, unterschiedliche Persönlichkeiten und unterschiedliche Situationen in ihren Diözesen: einige in der Stadt, einige auf dem Land; einige sind finanziell gesund, andere arm und kämpfen. Aber sie sind – nicht alle, aber überwiegend – gute Männer, die sich ihrem Volk verpflichtet fühlen. Wir müssen unsere Bischöfe lieben und respektieren, denn ihre Arbeit ist aufwändig und oft undankbar.
Das schließt berechtigte Kritik an unseren Hirten nicht aus. Wut ist nicht immer eine Sünde und wir haben die Pflicht, die Wahrheit zu sagen. Christliche Treue und Gehorsam unterscheiden sich sehr von Unterwürfigkeit. Das kann Ihnen jedes glücklich verheiratete Paar sagen. Meine liebe Frau, mit der ich seit 52 Jahren verheiratet bin, hat keine Probleme damit, mir gekonnt zu helfen, meine Mängel mit Deutlichkeit zu erkennen.
Aber es wird nicht gelingen, unseren Nachbarn zu bekehren, geschweige denn die Welt, wenn wir damit beschäftigt sind, die Männer zu erniedrigen, die uns führen. Noch ein weiterer Punkt: Alle christlichen Aktivitäten, Projekte und Dienste scheitern – unweigerlich –, wenn sie nicht bei der Anbetung ihren Ausgangspunkt haben. Einer der Priester, mit denen ich gesprochen habe, leitet seit kurzem die Umstrukturierung der Pfarre einer großen städtischen Diözese im Osten. Es ist ein Job, der die schlimmsten Schmerzen des Fegefeuers ziemlich gut abbildet. Er beschäftigt sich fast täglich mit Gebäuden, Budgets, Immobilien, Kirchenrechtsanwälten, Zivilanwälten, unglücklichen Gemeindemitgliedern und gereizten Pfarrern. Ich fragte ihn, welche zwei Dinge er nennen würde, die für eine grundlegende Erneuerung im katholischen Leben entscheidend seien. Seine Antwort – und er zögerte keine Sekunde – war: die persönliche Beichte und die eucharistische Anbetung. Bei beiden geht es um Vertrautheit mit dem Herrn, meist in der Stille. Ohne diese Intimität ist alles andere im christlichen Leben leeres Gerede.
(…) Hier noch ein abschließender Gedanke. Wir haben von Jesus selbst den Auftrag erhalten, „alle Nationen zu Jüngern zu machen“, um unsere Kultur mit Einsatz unseres ganzen Lebens zu verändern. Und das erinnert mich an Worte meines chinesischen Lieblingstheologen Mao Zedong. Ja, es stimmt: Mao war ein Massenmörder und eine abscheuliche Abart von einem Menschen. Niemand ist vollkommen. Aber selbst sehr böse Männer können einen sehr klugen strategischen Verstand haben. Und angesichts seines Vorgehens scheint es nur richtig, etwas von ihm abzuschauen. Mao schrieb 1938 in einem Artikel: „Waffen sind ein wichtiger Faktor im Krieg, aber nicht der entscheidende Faktor; Entscheidend sind die Menschen, nicht die Dinge.“
Ich habe diese Worte nie vergessen: Menschen, nicht Dinge, sind entscheidend. Christen gehören, wie C.S. Lewis schrieb, einer kämpferischen Religion an; eine Religion, die einen gewaltlosen Kampf für die Seele der Welt führt. Unsere Waffen sind Glaube, Hoffnung und Nächstenliebe; Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Mut. Aber all diese Tugenden sind nutzlos, wenn es keine Männer und Frauen gibt, die sie leben und bezeugen. . . denn Menschen, nicht Dinge, sind entscheidend. Deshalb ist jeder von uns so wichtig.
Der Autor ist Senior Fellow für katholische Studien am „Ethics and Public Policy Center“ und 2020-22 Senior Research Associate am „Center for Citizenship and Constitutional Government“ der Notre Dame-University. Sein Beitrag erschien in The Catholic World Report v. 6.4.23
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