30. September 2024 in Kommentar
Die kleine Slowakei macht es vor, dort gingen 40.000 Menschen für das Leben auf die Straße. In Deutschland müssen wir erst wieder ein Klima für das Leben schaffen. Der Montagskick von Peter Winnemöller
Linz (kath.net)
Rund eine Woche liegt der Marsch für das Leben inzwischen zurück. In zwei deutschen Städten gingen zusammen fast 8.000 Menschen für den Schutz des menschlichen Lebens auf die Straße. Natürlich gab es auch wieder Gegendemonstrationen, es gab Gewalt, es gab mediale Berichterstattung unterhalb jeglicher Seriositätsgrenze, es gab ein Framing, das die Befürworter des Schutzes menschlichen Lebens zu „selbsternannten Lebensschützern“ machte. Aus Sicht des Medienschaffenden die übliche Langeweile. In Berlin ist die Mobilisierungsrate der Antifa so langsam komplett erloschen. Trotzdem brüllen sie laut und vernehmlich ihre beleidigenden oder blasphemischen Parolen. Aus Sicht dessen, der einem gewaltbereiten Gegendemonstranten gegenübersteht, kommt sicher keine Langeweile auf. Immerhin gelang es in Köln in diesem Jahr, die Veranstaltung trotz Störungen stattfinden zu lassen und Gewaltexzesse wie im Vorjahr zu vermeiden.
Szenenwechsel. Košice, die größte Stadt der Ostslowakei. Einen Tag nach dem Marsch in Berlin und Köln findet der Marsch für das Leben in der Slowakei statt. Hier gehen 40.000 Menschen auf die Straße, hier ist von der Antifa so gut wie nichts zu sehen, die Anwesenheit der Polizei ist eher symbolischer Natur. Der Marsch verläuft vollkommen friedlich. Die Slowakei hat 5,432 Millionen Einwohner. Somit haben 0,74 Prozent der Einwohner des Landes am Marsch für das Leben teilgenommen. Rechnen wir diesen Wert auf Deutschland hoch, dann müssten ungefähr 617.000 Menschen am Marsch teilnehmen, legt man für Deutschland die Einwohnerzahl des Statischen Bundesamtes von 83,4 Millionen zugrunde. Der Vergleich dieser beiden Zahlen lässt einige Schlussfolgerungen zu.
Zuerst einmal desillusioniert es den Leser, der von einer Zahl von 40.000 Teilnehmern begeistert war. Das sind trotzdem nur weniger als ein Prozent der Bürger des Landes. Umgekehrt muss man aber auch sagen, das Demoskopen immer davon ausgehen, dass ein Teilnehmer für einen hohen Faktor an Menschen steht, die ebenso denken. Nehmen wir ein Verhältnis von 1:100 an, dann könnten in der Slowakei immer noch 4 Millionen und damit eine erdrückende Mehrheit der Bevölkerung grundsätzlich mit dem Anliegen des Marsch für das Leben übereinstimmen. Da Politik immer die Kunst des Machbaren ist und bleiben wird, kann man in der Slowakei als Regierung vielleicht nicht alle Forderungen der Lebensschützer umsetzen, doch weiß man die Mehrheit des Volkes hinter sich, wenn man eine Politik für das Leben macht.
Nun der Vergleich mit Deutschland. In Deutschland haben 0,01 Prozent der Bevölkerung am Marsch für das Leben teilgenommen. Gehen wir auch hier von einem Faktor 1:100 aus, dann stehen wir bei einem Prozent der Bevölkerung, das sich grundsätzlich mit den Anliegen des Lebensschutzes identifiziert. Die Lebensschützer in Deutschland stehen einem – man muss es leider so sagen – lebensfeindlichen Mainstream gegenüber. Politiker der Ampelkoalition, die bioethisch und lebensrechtlich alles wollen, was Gott verboten hat, können sich auf ein ähnlich denkendes Grundrauschen und eine gleichgültige Mehrheit stützen. Es ist geradezu ein Treppenwitz der Geschichte, dass es jetzt die FDP ist, die der grünen Ministerin für alles außer Familie, Lisa Paus, in die lebensfeindliche Suppe gespuckt hat. Der schlechte Paragraf 218, der nur einen marginalen Schutz für Ungeborene bietet, wird zumindest nicht auch noch abgeschafft. Jedenfalls nicht mehr in dieser Legislaturperiode. Die freiheitseinschränkenden Maßnahmen gegen die von ideologischen Lebensfeinden frei erfundene Gehsteigbelästigung, sowie die Abschaffung des Werbeverbots für Abtreibung sind schon genug der Grausamkeiten gegen das Leben.
In Deutschland, das kann man so sagen, sind die klimatischen Bedingungen für das Recht auf Leben denkbar schlecht. Wir haben da in der Tat eine Klimakrise und wir brauchen hier wirklich einen Klimawandel. Wer sich in diesem Land für den Schutz des Lebens einsetzt, hat nicht nur die überwiegend linksgrüne Mehrheit der Medien gegen sich, auch linke Parteien und linke Verbände stimmen ein in den Chor von der „reproduktiven Selbstbestimmung“. Selbst aus kirchlichen Kreisen kann man nicht mehr erwarten, ein klares Zeugnis für das Leben zu bekommen. Der Sündenfall des deutschen Laienkatholizismus war die Gründung von „Donum vitae“. Der Name schon ist gelogen, denn der ausgestellte Beratungsschein schenkt dem betroffenen ungeborenen Kind den sicheren Tod. Verschreckte deutsche Bischöfe die eine von linken erfundene Kontaktschuld inzwischen mehr fürchten als der Gottseibeiuns das Weihwasser, lassen auch katholische Lebensschützer im Regen stehen. Es gibt zum Glück löbliche Ausnahmen, die sich nicht ins Bockshorn jagen lassen und sich auch von Verleumdungsversuchen durch mutmaßlich gefakte Fotos in linken Medien schrecken lassen. Auch hier ist der deutsche Episkopat schmerzlich gespalten und schadet damit am meisten seiner eigenen Glaubwürdigkeit. Eine noch tiefer gehende Beschreibung des Umfeldes, in dem sich deutsche Lebensrechtsbewegungen tapfer und unerschütterlich für den Schutz des menschlichen Lebens einsetzen, würde hier den Rahmen sprengen. Die Beschreibung reicht aus, um festzustellen: Der Gegenwind hat Orkanstärke. Gegen einen solchen gesellschaftlich-politischen Orkan wird man niemals wirklich sinnvolle gesetzliche Regelungen durchsetzen können.
Man kann und darf die Frage aufwerfen, ob die Abtreibung ins Strafgesetzbuch gehört. Denn wir erkennen doch schon am jetzt geltenden Paragraf 218, wie schwach ein strafrechtlicher Schutz sein kann. Wäre es nicht viel sinnvoller, den Menschen in Artikel 1 des Grundgesetzes vom Moment der Zeugung an zum Träger unveräußerlicher Rechte zu erklären? Damit ließe sich das „Recht eines Menschen auf seine Geburt“ in die Verfassung schreiben. Alle Körperverletzungs- und Tötungsdelikte gälten so für Taten an Geborenen wie an Ungeborenen gleichermaßen. Zugleich gehört auch ein besonderer Schutz für schwangere Frauen in den Artikel für den Schutz der Familie. Artikel 6 Absatz 4 könnte lauten: „Jede Mutter hat vom Moment der Zeugung ihres Kindes an Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.“ Man dekliniere einmal durch, was dies für das Klima in einer Gesellschaft bedeuten würde. Mütter sind heute, das muss man so sagen, gesellschafts- und wirtschaftspolitisches Freiwild. Würde man Mutterschaft von ihrem wahren Beginn an unter den Schutz der Verfassung stellen, gäbe es ganz andere Möglichkeiten der Hilfe für Schwangere in Konfliktsituationen, derer Existenz und Möglichkeit niemand leugnen sollte.
Niemand wird jedoch in dieser Zeit in diesem gesellschaftspolitischen Klima daran denken können, solche Forderungen überhaupt nur ernsthaft ins Spiel zu bringen. Noch einmal kurz zurück in die Slowakei, wo vier fünftel der Einwohner zumindest tendenziell dem Lebensschutz zugeneigt sind. Wie könnte oben angeführte Vorschläge dort aufgenommen werden? Sicher nicht sofort mit Begeisterung, aber man hätte zumindest eine Basis, daran zu arbeiten.
In Deutschland kann es im Lebensschutz nicht mehr darum gehen, primär auf gute Rechtsnormen und deren Durchsetzung abzuzielen. In Deutschland gilt es einen echten Klimawandel hinzubekommen, indem ein steter Tropfen den harten Stein der lebensfeindlichen Gesellschaft erweicht. Der Weg dorthin führt über die Herzen. Welpenschutz ist uns allen zu eigen. Zeigen wir Bilder von Kindern. Grausamkeit lehnen wir alle intuitiv ab. Zeigen wir die Abtreibung in ihrer ganzen Grausamkeit. Damit sind nicht primär die Schockbilder von zerstückelten, winzigen Babys gemeint. Man sollte ihnen nicht ausweichen. Aber reicht es nicht schon die hässlichen Folgen für Mütter zu zeigen? Wir steuern in eine demografische Katastrophe zu. Dass diese ganz wesentlich damit zusammenhängt, dass wir seit 50 Jahren Jahr für Jahr 100.000 Menschen vor ihrer Geburt töten, wird einfach ignoriert. Wir sind doch so ambitionierte Modellierer. Warum modelliert und beschreibt nicht mal einer die deutsche Gesellschaft, in der eben nicht bereits die Kinder und Enkel der in den 1970er Jahren abgetriebenen Kindern fehlen.
Der Tod eines Menschen löst in dessen unmittelbarer Umgebung immer Traumata aus. Wo bleiben die Untersuchungen von Traumata bei Angehörigen nach dem Tod eines ungeborenen Kindes? Wo sind die Studien, wie viele Menschen in Deutschland inzwischen direkt als Eltern oder Geschwister, indirekt als Großeltern, Onkel und Tanten, entfernt als Freunde und Bekannte von Abtreibung betroffen sind? Es ist gar nicht auszuschließen, dass es vieles davon schon gibt. Mühen wir uns, noch bessere Zahlen, Daten und Fakten zu bekommen. Mühen wir uns die Beispiele für Best practice in der Beratung und Unterstützung von Schwangeren noch mehr in den Vordergrund zu rücken als das jetzt schon geschieht.
Tatsächlich wäre es an der Zeit, durch mehr Aufklärung, mehr Information, mehr Graswurzelarbeit auch in Deutschland eine hohe fünfstellige Teilnehmerzahl bei den Märschen für das Leben anzustreben. Die Idee der Dezentralisierung (Köln und Berlin) ist in einem so föderalistischen Land wie Deutschland sicher nicht die schlechteste Idee. Die linksgrünen Mainstreammedien kann man untertunneln, längst gibt es exzellent aufgestellte alternative Medien mit ordentlicher Reichweite. Und angesichts der Tatsache, dass die Mehrheit der deutschen Gynäkologen eben keine Abtreibungen vornimmt, hat man hier – und möglicherweise auch in anderen Arztpraxen – vielleicht sogar gute Partner, sachliche Informationen an die Frau zu bringen. Man sollte nichts unversucht lassen.
Den Wind zu drehen, indem man so viele und so gute Fakten, wie nur eben möglich unter die Leute bringt, könnte dem Lebensschutz auch in Deutschland noch mal wieder einen Aufwind geben. Ob wir je 600.000 Menschen in Berlin für das Leben auf der Straße sehen werden, ist fraglich, aber davon träumen ist ebenso erlaubt, wie dafür zu kämpfen.
Bild oben: Das beste Argument für das Leben ist das Leben selbst. Die Füße eines Neugeborenen mit einem Gänseblümchen. Foto: Pixabay.
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