Berliner Gericht höhlt Gewissensfreiheit für Apotheker in „Pille danach“-Urteil aus

2. Juli 2024 in Deutschland


Apotheker Kersten: „Das Gericht hat sich hinter meine Haltung gestellt. Es fand kein Verschulden in meiner Weigerung aus Gewissensgründen. Bestürzt hat mich aber die Begründung. Jetzt werden Apotheker es schwerer haben…“


Berlin (kath.net) Seit 2018 hat der Berliner Apotheker Andreas Kersten rechtlichen Ärger am Hals, weil er sich aus Gewissensgründen weigert, die sogenannte „Pille danach“ zu verkaufen. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat vergangene Woche in einem hoch ambivalenten Urteil einen Apotheker vom Vorwurf der Berufspflichtverletzung freigesprochen und die Berufung der Apothekerkammer kostenpflichtig zurückgewiesen. Zugleich hat es aber die Gewissensfreiheit von Apothekern in Berlin in Frage gestellt, berichtet nun die Menschenrechtsorgansisation „Alliance Defending Freedom“ (ADF) in einer Presseaussendung. Das Gericht sprach Andreas Kersten am 26.06.2024 im konkreten Fall vom Vorwurf der Berufspflichtverletzung frei. Auch wies es die Berufung der Apothekerkammer vollumfänglich zurück und erlegte ihr die Verfahrenskosten auf.

In der mündlichen Urteilsverkündigung erläuterte der vorsitzende Richter, die „Pille danach“ sei ein zugelassenes Arzneimittel, es gebe kein „Prüfrecht“ für Pharmazeuten und die individuelle Gewissensfreiheit sei dem Versorgungsauftrag untergeordnet. Ein Apotheker, der die Abgabe bestimmter Präparate nicht mit seinem Gewissen vereinbaren könne, müsse seinen Beruf aufgeben.

Apotheker Kersten stellt nach dem Urteil fest: „Ich bin sehr erleichtert, dass das Gericht die von der Apothekerkammer gegen mich beantragte Sanktion abgelehnt hat. Ich bin Apotheker geworden, um die Gesundheit von Menschen zu fördern, sogar Leben zu retten. Die sogenannte ‚Pille danach‘ zu verkaufen, kann ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, weil sie möglicherweise abtreibende Wirkung hat. Das Gericht hat sich hinter meine Haltung gestellt. Es fand kein Verschulden in meiner Weigerung aus Gewissensgründen. Bestürzt hat mich aber die Begründung. Jetzt werden Apotheker es schwerer haben und könnten sich aus Gewissensgründen gezwungen sehen, ihren geliebten Beruf aufzugeben.“

Seit 2018 betrieb die Apothekerkammer Berlin ein berufsrechtliches Verfahren gegen den Pharmazeuten und (damaligen) Inhaber der Undine-Apotheke Andreas Kersten, schildert ADF in der Presseaussendung. Er hatte sich aus Gewissensgründen stets geweigert, die sogenannte „Pille danach“ vorrätig zu haben und zu verkaufen. Das Berufsgericht für Heilberufe beim Verwaltungsgericht Berlin gab Kersten daraufhin im November 2019 recht. Dagegen legte die Apothekerkammer allerdings Berufung ein.

Die ADF unterstützt den Fall Kerstens seit sechs Jahren und stuft ihn als Präzedenzfall für Deutschland ein. Der Leiter der europäischen ADF-Rechtsabteilung, Felix Böllmann, erläuterte: „Nach einem Verfahren durch mehrere Instanzen und nach über 5 Jahren Unsicherheit ist jetzt klar, dass Andreas Kersten in seiner Gewissensnot nicht schuldhaft gegen Berufspflichten verstoßen hat. Darüber freuen wir uns.“ Allerding sei die Urteilsbegründung „skandalös“: „Das Gericht führte zunächst nur mündlich aus, dass sich Apotheker zukünftig zwischen ihren Überzeugungen und ihrem Beruf entscheiden müssen. Wir werden die Begründung genau prüfen“.

Böllmann führte weiter aus: „„Das Oberverwaltungsgericht Berlin setzt sich mit seiner Argumentation in direkten Widerspruch zum internationalen Recht. Grundrechte müssen effektiv garantiert werden, nicht nur auf dem Papier. Aber die Argumentation des Gerichts lässt der Gewissensfreiheit keinen Raum. Gewissenskonflikte müssen im Rechtsstaat, der sowohl Gewissens-, als auch Berufsfreiheit garantiert, anders als durch einen Berufswechsel gelöst werden.“ Denn „zu den umfassenden Beratungspflichten passt es nicht, Apotheker unter Berufung auf den Versorgungsauftrag dazu zu zwingen, jedes Präparat auf Nachfrage und ungeachtet etwaiger Bedenken zu verkaufen.“

Über die „Pille danach“ erklärt die ADF: „Neben weiteren gefährlichen Nebenwirkungen ist die ‚Pille danach‘ auch wegen ihrer potenziell abtreibenden Wirkung umstritten. Meist wird das Präparat zur Verzögerung des Eisprungs und dadurch der Verhinderung der Verschmelzung von Eizelle und Spermium verwendet. Allerdings wirkt die ‚Pille danach‘ auch nidationshemmend, das heißt die Einnistung der bereits befruchteten Eizelle in die Gebärmutter wird verhindert.“ Dies bedeute dann konkret, dass in diesem Fall „ein bereits gezeugter Mensch würde … abgetrieben“.

Foto (c) ADF International


© 2024 www.kath.net