10. Jänner 2023 in Interview
Interview mit Michael Hesemann über sein neues Buch "Die Bibel hat Recht - Archäologen auf den Spuren des Alten Testaments"
Linz (kath.net)
Herr Dr. Hesemann, auf der Frankfurter Buchmesse wurde gerade Ihr 47. Buch vorgestellt, „Die Bibel hat recht“. Der Titel kommt vielen von uns bekannt vor: Es gab mal ein Buch „Und die Bibel hat doch recht.“ Sind Sie jetzt unter die Plagiatoren gegangen?
MH: Nein, gewiss nicht. Die Anknüpfung ist ganz bewusst gemacht worden. Werner Kellers „Und die Bibel hat doch recht“ erschien 1955 und war damals das Buch, das die Erkenntnisse der sogenannten „Bibelarchäologie“ der deutschen Leserschaft zugänglich gemacht hat. Es war jahrzehntelang ein Riesen-Bestseller, doch es wurde seit dem Tod des Autors 1980 nicht mehr aktualisiert.
Es repräsentiert also den Stand der Forschung von vor 67 Jahren mit ein paar Ergänzungen vor 45 Jahren, während die Archäologen in Israel und seinen Nachbarländern in über 30 Ausgrabungen Jahr für Jahr laufend neue Erkenntnisse zutage fördern. Um diese dem Leser zugänglich zu machen, bedurfte es eines völlig neuen Buches, eines „Keller 2.0“ gewissermaßen, eines Ersatzes für unsere Zeit. Mein Buch ist auf dem Stand der Forschung vom Frühjahr 2022. Da ist praktisch alles neu!
Wie lange haben Sie an dem Buch gearbeitet und was veranlasste Sie, es zu schreiben?
Material dafür sammle ich seit 30 Jahren, in denen ich vielleicht zwanzig Mal Israel, aber auch die Nachbarländer Jordanien und Ägypten besuchte und vor Ort recherchierte. Die letzte Forschungsreise, nach Jordanien, fand unmittelbar vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie, im Februar 2020, statt. So hatte ich zwei Jahre lang Zeit, mich durch die Fachliteratur zu arbeiten und das Buch zu schreiben, während die Welt im Lockdown war.
Was mich dazu veranlasste ist die landläufige Skepsis bezüglich des Alten Testamentes. Für viele Christen ist es einfach nicht relevant. Sie denken, mit Jesus sei der Alte Bund aufgehoben, obwohl er selbst uns doch versichert hat: „Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben. Ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen.“ (Mt 5,17) Ohne das Alte Testament hätte es das Neue nie gegeben! Jesus sprach vom Gesetz des Moses. Er bezog seine Legitimation als Messias von Israel aus seiner Abstammung von König David, dem Begründer einer Dynastie, die von ca. 1030 v.Chr. bis 586 v.Chr. ununterbrochen regierte. Seine Jünger erkannten ihn als Messiasan, weil sich in ihm alles erfüllte, was die Propheten des Alten Bundes vorausgesagt hatten.
Darum ist das AT so wichtig für uns. Für Jesus war es keine Sammlung von Mythen und Legenden, sondern das erste Kapitel der Heilsgeschichte. Es schildert das Eingreifen Gottes in die Geschichte seines auserwählten Volkes. Es offenbart uns Gottes Gesetze, die noch immer gültig sind, auch wenn der Synodale Weg das nicht wahrhaben will. Umso beruhigender ist doch die Erkenntnis dieses Buches, dass es eine vertrauenswürdige Quelle ist, dass es Ereignisse des 2. und 1. vorchristlichen Jahrtausends in so vielen Punkten historisch zutreffend und archäologisch verifizierbar beschreibt. Das wollte ich aufzeigen, darum dieses Buch. Nach vier Büchern zur Archäologie des Neuen Testamentes war es überfällig, dass ich mich jetzt auch einmal mit dem Alten Testament beschäftige!
Gab es ein Schlüsselereignis, das Sie überzeugte, dass es jetzt an der Zeit sei, sich ans Werk zu machen?
Ja, das gab es. Es war die Entdeckung des biblischen Sodom, dessen Geschichte aus dem Buch Genesis ja so gerne ins Reich der Mythen verbannt wird. Und das, obwohl es in Syrien und Ägypten in zeitgenössischen Inschriften erwähnt wird, mal als „Sudu“, mal als „Sudanum“. Doch dann grub der amerikanische Archäologe Prof. Steven Collins auf dem Tell el-Hammam in Jordanien, nahe der Jordanmündung ins Tote Meer, und fand eine riesige Stadt, die um 1800 v.Chr. durch eine kosmische Katastrophe zerstört wurde. Das bestätigte eine ganze Phalanx von Geo- und Astrowissenschaftlern, die vor Ort im Jordantal forschten. Über dem Toten Meer muss ein Meteorit explodiert sein, wobei die Lufttemperatur auf 2000 Grad Celsius anstieg. Bekleidung und Holz entzündeten sich schlagartig, Tongefäße zerplatzten in der Hitze, Tonscherben verglasten. Es folgte eine gigantische Druckwelle, die Sodoms mächtige Stadtmauer umstürzte, menschliche Körper auseinanderriss und die Lehmziegel der Häuser kilometerweit ins Landesinnere schleuderte.
Wieder Sekunden später wurden die Brände von kochendem Salzwasser aus dem Toten Meer gelöscht, das von der Druckwelle bis zu 20 Kilometer tief ins Jordantal getrieben wurde. Am Ende muss das verdunstete Wasser in einer riesigen Wolke, ähnlich einem Atompilz, zum Himmel aufgestiegen sein – so groß, dass Abraham sie noch in Hebron sehen konnte, wie das Buch Genesis berichtet. Diese faszinierende Entdeckung, von der ich mir im Februar 2020 vor Ort persönlich einen Eindruck machen konnte, musste ich einfach in Deutschland bekannt machen, schon wegen ihrer Konsequenzen. Denn die Katastrophe war ja angekündigt worden. Hätte Gott auch nur 10 Gerechte unter Sodoms 8-10.000 Einwohnern gefunden – also gut 1 Promille! – wäre die Stadt verschont geblieben, heißt es in der Bibel. Solche abwendbaren Katastrophen finden wir immer wieder im Alten Testament.
In der Geschichte von Jona und Ninive, aber auch in den Mahnungen der Propheten an das Nordreich Israel und das Südreich Juda im ersten vorchristlichen Jahrtausend. Als etwa König Hiskija auf den Propheten Jesaja hörte und in einer religiösen Reform jeden religiösen Synkretismus, jeden heidnischen Götzenkult verbot, wurde Jerusalem tatsächlich gerettet, als es von der mächtigsten Großmacht jener Zeit belagert wurde, den Assyrern. Die Belagerung wurde schlagartig beendet, weil Gottes Engel, so heißt es, den Feind schlug, tatsächlich wohl eine Seuche ausbrach. Da wird die Geschichte des Alten Testaments plötzlich hochaktuell, gewissermaßen als Präzedenzfall, dass der Mensch einen Einfluss auf den Verlauf der Geschichte hat und dass es sich lohnt, auf mahnende Botschaften des Himmels zu hören.
Zu den faszinierendsten Kapiteln ihres Buches gehört die archäologische Bestätigung der Geschichte von Joseph.
Das kann man wohl sagen! Ein Wiener Archäologe, der vielleicht größte Ägyptologe unserer Zeit, Prof. Manfred Bietak, grub nicht nur die Stadt „Ramses“ aus, in der die Israeliten von den Ägyptern angesiedelt wurden, bevor man sie versklavte. Er fand auch die Überreste eines Palastes, der vor 3700 Jahren über dem Haus eines kanaanitischen Patriarchen errichtet wurde und in dem man ein Siegel mit dem Namen „Jakob“ fand. Ein weiteres Siegel aus diesem Palast trägt die Symbole der zwölf Stämme Israels und die Darstellung von Jakobs Heimatstadt Sichem. Im Park des Palastes befanden sich zwölf Gräber, deren prachtvollstes eine kleine Pyramide mit der Statue eines hohen Beamten in einem vielfarbigen Mantel war; und ausgerechnet diese Pyramide wurde aufgebrochen und die Mumie entfernt, so wie es die Bibel vom Leichnam Josefs berichtet. Damit wird die ganze Joseph-Geschichte plötzlich historisch und archäologisch greifbar.
Nicht festlegen wollen Sie sich dagegen beim Datum des Exodus…
Weil hier der historische und archäologische Befund uneindeutig ist, und dass, obwohl sogar eine protohebräische Inschrift den Namen des Moses erwähnt und gleich mehrere Siedlungen semitischer Sklaven in Ägypten Hals über Kopf verlassen wurden. Doch selbst innerhalb der Ägyptologie ist man sich nicht einig, was Datierungen betrifft. So bleibt ein Zeitfenster zwischen 1640 und 1446 v.Chr., in dem sich der Exodus ereignet haben muss.
Und der Berg Sinai ist bei Ihnen auch nicht der Mosesberg…
Der wird ja erst seit dem 4. Jahrhundert von Christen als solcher verehrt. Zuvor gibt es nicht einen einzigen Hinweis in einer jüdischen Quelle, der den biblischen Berg Sinai auf der heute „Sinai“ genannten Halbinsel lokalisiert. Stattdessen sprechen alle jüdischen Quellen von Midian, doch Midian ist der Nordwesten des heutigen Saudi Arabien. Das ist übrigens alles nicht meine Hypothese, ich berufe mich vielmehr auf den größten Arabienkenner deutscher Sprache, den Österreicher Alois Musil, der übrigens ein katholischer Priester war.
Er brachte uns auf die richtige Spur. Als Israel 1967 den Sinai besetzte, versuchten Archäologen verzweifelt, auch nur die kleinste Spur der Israeliten im Gebiet um den Mosesberg zu finden, wo sie ja immerhin ein Jahr lang gelagert haben müssten. Es gab keinen: Kein bronzezeitliches Grab, keine Inschrift, keine Tonscherben oder Getreidemühlen, nichts! In Midian dagegen gibt es einen Berg, den Jebal al-Makla, zu dessen Füßen man einen Brandopferaltar fand, der von protohebräischen Inschriften umgeben ist, wo ein großes bronzezeitliches Gräberfeld gefunden wurde und wo noch heute hunderte bronzezeitlicher Getreidemühlen herumliegen. Alles spricht dafür, dass es hier war, wo Moses die Zehn Gebote empfing!
Trotzdem halten Mainstream-Archäologen die Berichte der Bibel bislang für Mythen…
Was wohl eher von antireligiösen Vorbehalten herrührt als von echter Archäologie. So publizierte etwa der israelische Archäologe Israel Finkelstein ein Buch, in dem er die Könige David und Salomo zu Sagengestalten erklärte. Und das, obwohl es immerhin vier zeitgenössische Inschriften gibt, die König David erwähnen. Heute wissen wir: Im 11. Jahrhundert v.Chr. machte das Land der Israeliten geradezu einen Sprung in Richtung Zentralverwaltung. Das Territorium wurde stark ausgedehnt und durch neuerbaute Festungen geschützt, zudem garantierten Verwaltungszentren die Einnahme und Weiterleitung von Abgaben. Wir können das einem unbekannten König zuschreiben, der offenbar die Stämme geeinigt hat, oder ihm seinen biblischen Namen geben, der, wie gesagt, durch Inschriften bezeugt ist: David!
Unter seinem Nachfolger finden wir dann plötzlich Hinweise auf einen regen Fernhandel. Da taucht Bruchsilber – die Währung dieser Zeit – auf, das aus Minen in Südspanien stammt. Dazu Zinn aus Cornwall, Weihrauchbäume aus Arabien. Im Süden des Reiches, in Timna bei Elat und in Edom, entstehen riesige Montanregionen, in denen Kupfer gefördert und verhüttet wird. Auf einer Insel vor dem heutigen Eilat, das selbst an einer Schilfbucht lag und daher als Hafen für den Schiffsverkehr ungeeignet war, entstand ein Fernhafen, von dem aus Schiffe in den indischen Ozean aufbrachen. Vom plötzlichen Reichtum zeugen auch monumentale Stadttore in den wichtigsten Städten des Landes, alle nach dem gleichen Bauplan errichtet, und eine rege Bautätigkeit in Jerusalem. Genau das aber überliefert die Bibel von Davids Sohn Salomon.
Von all den Funden, die in den letzten Jahrzehnten gemacht wurden – welcher hat Sie persönlich am meisten beeindruckt?
Sie meinen außer der Entdeckung von Sodom? Vielleicht ein Ostrakon, eine beschriftete Scherbe, das war die „Postkarte“ oder der „Schmierzettel“ jener Zeit, die aus dem 11. Jahrhundert v.Chr. stammt und den Verlust und der Wiedererlangung der Bundeslade vermeldet, wie sie im Buch Samuel geschildert wird – sie könnte sogar eine direkte Quelle für den biblischen Bericht gewesen sein! Oder ein anderes Ostrakon, das Yosef Garfinkel in der von König David errichteten Vorratsstadt von Khirbet Qeiyafa fand und das die Geschichte von David und Goliat zu erzählen scheint. Aber ich bin Christ und ich erlaube mir jetzt, für einen Augenblick ganz sentimental zu sein: Am meisten beeindruckte mich persönlich eine sogenannte Bulle, ein Siegelabdruck in feuchtem, an der Luft trocknenden Ton, mit dem damals Briefe und Dokumente verschlossen wurden. Hunderte solcher Bullen fand die israelische Archäologin Eilat Mazar bis 2018 in den Ruinen einer Kanzlei zu Füßen des Königspalastes von Jerusalem, darunter auch solche, die den biblischen König Hiskija erwähnen. Doch eine von ihnen trug einen anderen, noch prominenteren Namen; auf ihr liest man: (l) yesha‘yah[u] navy, „Gehört dem Nabi (Propheten) Jesaja“.
Hier haben wir den wichtigsten Propheten der Königszeit, den Mann, der König Hiskija vor den Assyrern gewarnt und zu seiner religiösen Reform bewegt hat, den Mann, der die Geburt Jesu durch die Jungfrau Maria voraussagte. Von ihm zeugt dieses winzige Klümpchen Ton, in das er mit eigener Hand sein Siegel gedrückt hat. Sogar sein Fingerabdruck ist erhalten, er überdeckt den linken Rand des Abdrucks. Vielleicht verschloss Jesaja damit seine Steuererklärung, vielleicht aber auch einen Mahnruf an den König. Er wird auf jeden Fall plötzlich ganz greifbar, man kann buchstäblich berühren, was er berührt hat und geht dadurch mit ihm auf Tuchfühlung. Seine Worte haben 2700 Jahre überdauert und jetzt besitzen wir etwas, das aus seinem Alltag stammt und ihn als historische Persönlichkeit aus Fleisch und Blut bezeugt, die nicht nur ihren Fußabdruck in der Heilsgeschichte, sondern auch ihren Fingerabdruck hinterlassen hat. Funde wie dieser lassen erahnen, wie viel noch in der Erde Israels, Jordaniens oder Ägyptens auf uns wartet. Aber schon das, was wir bis heute zutage gefördert haben, genügt, um uns daran zu erinnern, dass die Bibel eben doch recht hat.
Danke, Herr Dr. Hesemann
kath.net Buchtipp
Die Bibel hat Recht – Archäologen auf den Spuren des Alten Testaments
Von Michael Hesemann
Langen/Müller Verlag 2022
ISBN: 978-3-7844-3603-6
400 Seiten; Hardcover
Preis: Euro 37,10
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