27. Februar 2021 in Weltkirche
Expertin berichtet über Hintergründe des Militärputschs
Wien-München (kath.net/KIN)
In Myanmar steht der Demokratieprozess auf Messers Schneide. In der Nacht zum 1. Februar hat sich das Militär im früheren Birma zurück an die Macht geputscht. Laut Militär sollen Vorwürfe des Wahlbetrugs bei der Parlamentswahl im November Grund für den Staatstreich gewesen sein. Die Friedensnobelpreisträgerin und bisherige Regierungschefin Aung San Suu Kyi hatte mit ihrer Partei NLD (Nationale Liga für Demokratie) die Wahl mit absoluter Mehrheit gewonnen. San Suu Kyi und weitere führende Politiker wurden inhaftiert.
Die Streitkräfte haben einen einjährigen Ausnahmezustand über das südostasiatische Land verhängt. Anders als in der Vergangenheit wehrt sich das Volk gegen den Putsch. Viele Bürger Myanmars gehen auf die Straße; es wurde ein Generalstreik angekündigt.
Volker Niggewöhner vom weltweiten päpstlichen Hilfswerk „Kirche in Not“ sprach mit Angela Jacobi über Auslöser, Folgen und mögliche Hintermänner des Putschs. Angela Jacobi leitet zusammen mit ihrem Mann die „Dr. Michael & Angela Jacobi-Stiftung“, die zahlreiche Projekte in Myanmar fördert. Mit dem führenden Vertreter der christlichen Minderheit in Myanmar, Erzbischof Charles Maung Kardinal Bo, ist sie freundschaftlich verbunden.
Volker Niggewöhner: Frau Jacobi, was wissen Sie über die derzeitige Lage in Myanmar?
Angela Jacobi: Es sind wirklich nicht nur Zehntausende, es sind Hunderttausende von Menschen auf der Straße. Es ist das erste Mal, dass sich ganze Berufsgruppen wie Ärzte, Angestellte der Bahn oder des Flughafens diesem Protest angeschlossen haben – sogar Polizisten. Das ist für die Generäle gefährlich. Denn wenn die Polizei sich gegen die Armee wendet, dann könnte der Putsch unter Umständen kippen. Aber was sollen Menschen gegen Panzer ausrichten? Und die Panzer fahren jetzt überall auf.
Haben Sie auch jetzt noch Kontakt nach Myanmar? Es hieß ja, dass die Internetverbindungen unterbrochen sind.
Erstaunlicherweise habe ich immer noch Kontakt mit zwei Ordensmännern. Die Lage wäre „sehr, sehr ernst“, schrieben sie. Die letzte Nachricht erreichte mich aus dem Norden des Landes, wo es viele Flüchtlingslager und immer wieder Unruhen gibt. Darin hieß es: „Jetzt schießt die Armee auf unbewaffnete Menschen.“
Offizieller Anlass des Staatstreichs ist der vorgeworfene Wahlbetrug. Was ist dran an diesem Vorwurf?
Das ist aus meiner Sicht ein vorgeschobener Grund. Und das schreibt auch Kardinal Bo in seiner Botschaft vom 3. Februar an die Konfliktparteien und die Weltöffentlichkeit. Es waren internationale Beobachter im Land, und man hätte dieses Problem sofort und umgehend besprechen können. Die Wahl war am 8. November, und auf einmal am 1. Februar anzukommen und Wahlfälschung zu behaupten – das ist so durchsichtig, da braucht man gar nichts mehr darüber zu sagen.
Was könnte denn der wahre Grund für den Putsch gewesen sein?
Ich denke, Aung San Suu Kyi und ihre Partei waren dem Militär immer schon ein Dorn im Auge, denn sie haben jetzt zum zweiten Mal einen Erdrutschsieg errungen über die Militärs. Trotzdem erleben wir zum zweiten Mal die Farce, dass sich drei Viertel der Plätze im Parlament aus Militärs zusammensetzten, obwohl Aung San Suu Kyi über 80 Prozent der Stimmen gewonnen hat.
Das Problem ist, dass die ganzen Rohstoff-Minen und vor allem die drei größten Industriekonglomerate des Landes sich in den Händen der Militärs befinden. Und die sehen wegen des erneuten klaren Wahlsiegs von Aung San Suu Kyi, dass ihnen die Felle davonschwimmen.
Wie würden Sie den Demokratisierungsprozess in den vergangenen Jahren beurteilen?
Der Regierungspartei NLD war von Anfang an stark die Hände gebunden. Wenn von vier Sitzen drei das Militär besetzt, kann man auch bei noch so gutem Willen wenig bewegen. Und trotzdem war für die Menschen am allerwichtigsten, dass sie Hoffnung in die Demokratie hatten. Aus dieser Hoffnung heraus konnte sich viel Gutes entwickeln. Es gibt sehr viele positive Ansätze, zum Beispiel was Bildung betrifft. Das alles ist jetzt wieder infrage gestellt.
Welche Rolle spielt eigentlich der Nationalismus in Myanmar?
Der Nationalismus spielt leider eine große Rolle. Das sehe ich allein schon an der Tatsache, dass ultranationalistische Mönche bei dem Putsch eine größere Rolle gespielt haben, als ich mir das hätte vorstellen können. Ich habe schon während der Rohingya-Krise beobachtet, dass der große Wunsch und das Bestreben da ist, einen rein buddhistischen Staat aus Myanmar zu machen.
Kann dieser Putsch Folgen haben für die Christen und andere religiöse Minderheiten?
Das befürchte ich. Wir haben gesehen, wie schnell es gehen konnte, die Muslime zu vertreiben, fast in Gänze. Ich habe große Sorgen, dass eine enorme Christenverfolgung einsetzen könnte.
Gerade die katholische Kirche hatte in den Amtsantritt von Aung San Suu Kyi viele Hoffnungen gesetzt. Ist jetzt zu befürchten, dass die Christen vom Militär als „Kollaborateure“ gesehen werden?
Das ist durchaus möglich. Aung San Suu Kyi ist persönlich befreundet mit Kardinal Bo. Wenn man den Vorwurf, Aung San Suu Kyi hätte sich illegal sechs Funkgeräte beschafft, zum Anlass nimmt, sie einzusperren: Wie schnell fänden sich dann auch Gründe, Christen zu belangen für den Beistand, den sie den Demonstranten jetzt leisten, indem sie sie mit Lebensmitteln und Unterkunft versorgen?
Der Staatstreich erfolgte knapp zwei Monate nach der Wahl, war also keine Kurzschlusshandlung. Legt das die Vermutung nahe, dass auch fremde Mächte dahinterstecken könnten?
In der Presse Myanmars wird ganz offen darüber gesprochen, dass China die Hand im Spiel hat. Das Land ist ein Schatzkästchen Asiens mit so vielen Ressourcen. Ich weiß durch meine Reisen, dass die Chinesen gerne Myanmar besitzen würden.
Kardinal Bo hat in seinem Schreiben vom 3. Februar gesagt: „Wir gehen durch die herausforderndste Periode unserer Geschichte.“ Wie sollte Ihrer Meinung nach die Weltgemeinschaft jetzt reagieren?
Ich weiß keine Patentlösung. Zumindest sollte es keine Sanktionen geben, die das Volk noch mehr schwächen würden. Die allergrößte Hoffnung habe ich in das Volk selbst. Wie lange die Menschen durchhalten, kann ich nicht beurteilen. Ich befürchte ein Blutbad. Das Militär ist gnadenlos, denn alles scheint von langer Hand geplant.
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