7. Juli 2020 in Aktuelles
„Am 8. Juli vor 69 Jahren, am 8. Juli 1951, feierten die Ratzinger-Brüder Georg und Joseph, der spätere Papst Benedikt XVI., im bayerischen Traunstein ihre Primiz.“ Gastbeitrag von Michael Hesemann - FOTOSTRECKE
Regensburg (kath.net) Morgen, am 8. Juli 2020, wird der am 1. Juli verstorbene Papstbruder und Domkapellmeister Prälat Dr. Georg Ratzinger in Regensburg zu Grabe getragen. Der Zeitpunkt ist keinesfalls zufällig gewählt. Denn am 8. Juli vor 69 Jahren, am 8. Juli 1951, feierten die Ratzinger-Brüder Georg und Joseph, der spätere Papst Benedikt XVI., im bayerischen Traunstein ihre Primiz. In unserem gemeinsamen Buch „Mein Bruder, der Papst“ erinnerte er sich an diesen großen Tag.
Am Freitag, dem 29. Juni 1951 wurden Joseph und Georg Ratzinger von Michael Kardinal von Faulhaber im Dom zu Freising zu Priestern geweiht. Es war ein strahlender Sommertag, als die 44 Kandidaten ihr „Adsum“ sagen sollten – „Ich bin da!“. Als dann der greise Erzbischof, der schon im Abschied seines Lebens stand, Joseph Ratzinger die Hand auflegte, stieg zwitschernd eine Lerche vom Hochaltar in den Dom auf. Für den jungen Priester war das ein Zeichen, ein Zuspruch von oben, dass er auf dem rechten Weg war. Auf seinem Primizbildchen aber stand das dazu passende Pauluswort: „Nicht als ob wir von uns selbst aus etwas vermöchten, sondern unsere Fähigkeit kommt von Gott.“
Georg Ratzinger:
„Wir waren natürlich schon ein wenig aufgeregt. Wir wollten nichts dem Zufall überlassen. So haben wir schon am Vorabend unsere Schuhe geputzt und unsere Kleider hergerichtet. Ich weiß nicht mehr, wie wir die Morgenstunden verbracht haben, doch ich erinnere mich noch gut daran, wie wir uns eingekleidet haben und in feierlicher Prozession vom Seminar zum Dom zogen. Das geschah natürlich in einer ganz besonderen Gemütslage, denn es war ein hoher Festtag für uns, eigentlich der Höhepunkt unseres Lebens. Die Straßen waren mit Fähnchen geschmückt und die ganze Stadt schien auf den Beinen, so feierlich ging es zu.
Als wir in den Dom eintraten, hat die Orgel gebraust und der Männerchor gesungen. Unsere Liturgie schenkt uns doch so wunderbare Erlebnisse! Der Dom war bis auf den letzten Platz besetzt, die Menschen drängten sich förmlich, um dieses besondere Ereignis, unsere Priesterweihe, mitzuerleben. Natürlich waren unsere Eltern und unsere Schwester Maria zu diesem großen Anlass nach Freising gekommen, zudem viele unserer Freunde. Der Orgelklang und der farbenprächtige Blumenschmuck trugen ihren Teil dazu bei, diese ohnehin schon festliche Stimmung zu vertiefen und ihr noch eine andere, eine sinnliche Dimension zu verleihen. Dann wurde der Weiheritus zelebriert, in einer Form, die uns damals sehr berührt hat. Sein Höhepunkt war die Allerheiligen-Litanei, während derer wir vor dem Altar am Boden lagen und in dieser Haltung der völligen Gottergebenheit mitgebetet und mitgesungen haben. Alle Anwesenden, auch unsere Lehrer und das versammelte Kirchenvolk, stimmten mit ein, um in Vorbereitung unserer Weihe die Hilfe aller Heiligen des ganzen Himmels auf uns herabzuflehen. So vertiefte sich in uns die Gewissheit, dass mit der Handauflegung durch den Erzbischof ein neuer Lebensabschnitt begann, der gottgewollt und segensreich sein würde.
Mein Bruder erzählte später, dass er im Augenblick der Handauflegung, also dem eigentlichen Weiheakt, ein Vöglein sah, das vom Hochaltar in den Dom aufstieg und ein Lied trällerte. Ich muss zugeben, das nicht bemerkt zu haben, doch ich weiß, dass er sensibler für solche Ereignisse der Schöpfung ist. Vielleicht war es wirklich ein Zeichen, dass Gottes Segen auf ihm lag.
Am Ende der Priesterweihe trug jeder von uns eine brennende Kerze nach vorne, die er dem Erzbischof übergab, während vom Chor aus ein besonderer Hymnus erklang. Dieser Ritus, den es heute nicht mehr gibt, hat uns damals tief berührt. Das Kerzenopfer versinnbildlichte noch einmal unser eigenes Leben, das wir übergaben, damit das Licht des Evangeliums brenne und die Welt erleuchte. Es war der bewegende Abschluss einer Zeremonie, durch die unser ganzes Leben erneuert wurde. Denn was kann es Schöneres geben, als vor den lebendigen Gott zu treten und ihm zu dienen – und damit auch den Menschen zu dienen?
Damals fand noch am Abend des Weihetages im Knabenseminar neben dem Dom, dem heutigen Diözesan-Museum, ein feierlicher Primiziantenabschied statt. Doch an ihm konnten wir leider nicht mehr teilnehmen. Wir mussten noch am Tag unserer Priesterweihe nach Hause, denn am übernächsten Tag feierte einer unserer engsten Freunde, (der spätere Liturgiewissenschaftler und Pastoraltheologe) Rupert Berger (geb. 1926), der Sohn des Traunsteiner Oberbürgermeisters, seine Primiz, und wir hatten ihm versprochen, dabei zu levitieren, also die Levitendienste zu übernehmen.
Unsere eigene Primiz fand eine Woche später statt, am 8. Juli, und zwar ebenfalls in der Pfarrkirche St. Oswald in Traunstein. Da es damals noch keine Konzelebration gab, musste jeder von uns seine eigene Primizmesse feiern, mein Bruder morgens um 7.00 Uhr und ich zwei Stunden später, um 9.00 Uhr. Die Frühmesse war eine Messe mit Volksgesang, die 9.00 Uhr-Messe war ein Hochamt. Da meinte mein Bruder, ich sollte die übernehmen, da ich mit dem Kirchenchor gut befreundet war, während er bereit war, auch den etwas weniger feierlichen Gottesdienst zu zelebrieren.
Am Vorabend trat eigens für uns die Jugend-Singschar der Pfarrei Traunstein in Hufschlag auf, die ein Freund von uns leitete, und trug einige Lieder vor. Als sie geendet hatten, stieg unser Pfarrer Els auf den Tisch und hielt eine zündende Rede. Er hieß Georg mit Vornamen und wir nannten ihn immer den „Raketenschorsch“, weil er so schnell redete. „Aus dem harten Stein“ – begann er und meinte Hufschlag, das keinen so guten Ruf hatte – „ist doch ein Funken entsprungen“, hatte doch dieser unbedeutende Vorort gerade zwei Priester hervorgebracht. Es war ein wunderbarer Abend, nicht heiß, sondern schön lauwarm, wunderbare Düfte lagen in der Luft und die Junikäfer flogen um uns herum.
Auch auf der Primiz meines Bruders hat der „Raketenschorsch“ gepredigt. Eigentlich sollte unser Freund Alfred Läpple predigen, doch er hatte uns ein paar Tage zuvor ein Telegramm geschickt, dass er nicht sprechen könnte, weil er gerade unter einer Kieferresektion litt. Dann meinte unser Pfarrer, der selber ein großartiger Prediger war, das würde er übernehmen. Was die Musik betraf, so bat ihn mein Bruder, die einfachsten Lieder, die im Gesangbuch standen, auszuwählen, denn die würden die Leute wenigstens kennen. Aber der Pfarrer Els war damit ganz und gar nicht einverstanden, er wollte etwas Feierlicheres und entschied sich für die „Christkönigsmesse“ von Josef Haas. Haas war Präsident der Musikhochschule in München, Schüler von Reger und Lehrer meines Lehrers Höller; ich bin also gewissermaßen sein „Enkelschüler“. Er war selber früher Lehrer gewesen und hat geistliche Musik komponiert, darunter Volksliedmessen wie die erwähnte „Christkönigsmesse“, die eigentlich für Volksgesang ein wenig zu schwer ist. Der Pfarrer aber meinte, die nehmen wir, die ist feierlich und schön. Natürlich haben die Leute sie nicht richtig gekonnt und auch der Jugendchor scheiterte an dieser Komposition. Noch vor Beginn der Predigt rief der Pfarrer dazwischen, die Leute sollten doch gefälligst alle mitsingen: „Da zwitschern ein paar Spatzen vom Kirchenchor, das ist kein Gesang!“ Man hat ihm das nicht übel genommen, das war einfach seine Art, er war halt ein sehr direkter Mensch, unser Raketenschorsch.
Danach sind wir zunächst nach Hause gegangen, wo uns bald ein festlicher Primizzug abholte und uns wieder von unserem Elternhaus in Hufschlag nach Traunstein hinunterbrachte. Das war praktisch eine große Prozession, die von Ministranten, Blasmusik und viel Volk begleitet wurde. Dann folgte meine Primiz mit der „Nelson-Messe“ von Haydn – und die war ein hochfestliches Amt. Es predigte mein ehemaliger Religionslehrer Dr. Hubert Pöhlein. Ich hatte ihn vorher gefragt, wie lange seine Predigt dauern würde, und er meinte, es seien, wenn er nichts vergäße, etwa 35 Minuten. Nun, es wurden dann 25 Minuten, also hatte er wohl etwas vergessen.
Wir waren ganz erstaunt, wie viele Menschen gekommen waren. Vorher hatte man uns noch erklärt, dass am selben Tag in Traunstein ein Radrennen stattfand und wir deshalb nicht traurig sein sollten, wenn unsere Primiz nicht so gut besucht würde. Doch dann hörten wir, dass das Radrennen kaum Zuschauer hatte, weil die Leute alle zu uns in die Primiz gegangen waren. Das war damals noch anders als heute.
Nach der Primiz hatten wir gut hundert Gäste zu einem festlichen Essen ins Gasthaus Sailer-Keller eingeladen, wo man gespickten Kalbsbraten servierte. Für den Nachmittag stand eine feierliche Dankandacht auf dem Programm. Da war es, wo wir eine böse Überraschung erlebten. Während uns am Vormittag noch strahlendstes Sommerwetter beglückte, zogen während des Primizmahls erste Wolken auf, bevor es erst zu donnern begann, dann regnete und schließlich in Strömen goss. Das tat uns natürlich für die Gäste leid, obwohl die Abkühlung nach der morgendlichen Hitze auch sehr angenehm war.
Damals war es bei Primizen üblich, dass sich die Leute im Pfarrbüro melden konnten, die den Primizsegen haben wollten. Dort lagen also Listen aus, die wir beide dann bekamen und auf denen stand, wo wir überall hingehen sollten, und so verbrachten wir die nächsten Tage damit, diese Gemeindemitglieder alle aufzusuchen und zu segnen.“
Der Segen von einem neu geweihten Priester gilt als etwas ganz Besonderes. „Für einen Primizsegen lohnt es sich sogar, ein paar Schuhsohlen durchzulaufen“, sagte man in Bayern.
Georg Ratzinger:
„Da waren wir tagelang von früh bis spät unterwegs und wurden überall sehr herzlich empfangen. In jedem Haus haben wir eine Brotzeit bekommen und ein bisschen Geld als Geschenk, doch vor allem machte es uns glücklich, zu erfahren, welche Gnade es war, die Priesterweihe empfangen zu haben und diesen Segen an die Menschen weitergeben zu dürfen. So erlebten wir immer wieder, mit welcher Sehnsucht die Menschen auf den Priester warteten, auf einen Menschen, der von Gott berufen war, um ihnen zu dienen.“
Zum ersten Mal erfuhren Georg und Joseph Ratzinger, mit welcher Inbrunst die Menschen sich seinen Segen erhoffen und welche Kraft aus dem Sakrament der Priesterweihe kommt. Was hätten sie als junge Männ diesen Menschen schon geben können? Jetzt, wo sie im Auftrag Christi handelten, war es mehr, als sie fassen konnten.
Joseph und Georg Ratzinger spenden nach ihrer Priesterweihe den ersten Primizsegen
Die Neupriester Joseph und Georg Ratzinger
Karte zur Priesterweihe und zur Primiz von Georg Ratzinger 1951
Karte zur Priesterweihe und zur Primiz der Brüder Joseph und Georg Ratzinger 1951
Originalfilmaufnahmen: Die Priesterweihe von Joseph Ratzinger (Papst Benedikt XVI.) und Georg Ratzinger
Mein Bruder, der Papst. Georg Ratzinger im Interview über Benedikt XVI.
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kath.net-Buchtipp:
Mein Bruder der Papst
Von Georg Ratzinger
Sonstiger Urheber: Michael Hesemann
Hardcover, 272 Seiten; m. SW-Fotos im Text, 8 farb. Fototafeln
2011 Herbig
ISBN 978-3-7766-2678-0
Preis Österreich: 10.30 EUR
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